Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
AUS MUENCHEN

ES wird wohl — namentlich iii Norddeutschland — von
keiner Stadt im Reich mit solchem Enthusiasmus ge-
sprochen, wie von München. Wir schwärmen für Nürnberg,
wer Empfindung für Grösse und Charakter hat, hebt die Hände
auf, wenn Augsburg genannt wird, das Wort Berlin wirkt
auf die Nerven wie ein Trompetenstofs, Dresden erweckt
Märchenträume, aber wenn der Name der bayerischen Haupt-
stadt genannt wird, leuchten die Augen auf, und liebe Er-
innerungen erheben sich aus den dunkeln Tiefen der Seele
und treten leuchtend über die Schwelle des Bewufstseins.

Wir können an München nicht denken, ohne dafs über
unsern Mund ein Lächeln fliegt. Es ist die heiterste deutsche
Grofsstadt. Ein Franzose, mit dem ich über die ernsten
norddeutschen Städte nach München gekommen war, sagte
am Abend des ersten Tages: Sonderbar, hier lacht Alles.

Den Norddeutschen, der das intensive Volksleben
Münchens zuerst auf sich wirken läfst, pflegt ein fast weh-
mütiges Gefühl zu beschleichen. Er fühlt sich unter Menschen,
die das Leben anders auffassen und geniefsen, als seine Lands-
leute. Wenn er die alten Kirchen besucht, oder an der
Mariensäule vorübergeht, offenbart sich ihm eine Kraft des
religiösen Lebens und eine naive Unbekümmertheit des Aus-
drucks religiöser Stimmungen, die ihn so mächtig ergreift,
wie wenn er, das Kind der Ebene, zum ersten Mal lebendiges
Gestein zu Tage treten sieht. Auf Strafsen und Plätzen, in
den Schankstuben und auf den Kellern hat er das Volk als
eine noch homogene Masse vor sich. Die obern Klassen
scheinen ohne Hochmut, die niedern ohne Demut oder
Trotz, und Alles mischt sich ohne Zwang. Die einfachen
Genüsse, die zu Münchens Eigenart gehören, sind allen
Ständen gleichmäfsig zugänglich und nirgend gähnt der tiefe
Abgrund zwischen Hoch und Niedrig, an den wir im Norden
gewöhnt sind. München ist trotz aller Spezialitätenbühnen
und Wiener Cafes, die ihm in den letzten Jahren so un-
organisch aufgehängt worden sind, die im besten Sinne
bäurische Hauptstadt eines Bauernstaates geblieben, und so
verstanden ist das öffentliche Leben in München unter allen

unsern Grofsstädten am meisten deutsch. Wenn ich einem
Engländer oder Franzosen die Eigenart des ursprünglich
deutschen Wesens fühlbar machen wollte, habe ich ihn
nach München geführt. Während sich der Pariser in Berlin,
erstaunt über das grofsstädtische Treiben, das alle seine Er-
wartungen übertrifft, in einem unbekannten Stadtteil von
Paris wähnt, in München hat er unmittelbar die Empfindung
fremden und energisch ausgesprochenen Volkstums.

Das Alles fühlt auch der Deutsche, wenn er an München
denkt, aber es kommen zu dem eigenen Wesen der Stätte
noch mancherlei Associationen, die ihm München lieb machen.
Es ist eines der Thore, durch das er den Süden betritt,
und es bietet ihm den ersten Grufs heimatlichen Lebens,
wenn er zurückkehrt.

*

In München zeigen sich Kräfte wirksam, die in den
übrigen deutschen Grofsstädten kaum noch oder noch nicht
wieder das öffentliche Leben und die Entwicklung des Stadt-
bildes beherrschen: der Fürst hat den unmittelbaren Einflufs
auf die Ausgestaltung seiner Residenz noch nicht aufgegeben,
während fast überall seit dem Anfang unseres Jahrhunderts
dem Bürgertum der Ausbau der Stadt überlassen blieb; und
die Münchner Stadtgemeinde hat sich ausdrücklich als
Wächter und Mehrer der künstlerischen Schönheit des Stadt-
bildes proklamiert, was so entschieden meines Wissens in
keiner andern deutschen Stadt geschehen ist.

Den Fürsten unseres Jahrhunderts dankt München auch
die beiden Elemente, die es wohlhabend gemacht und ihm
auf einem der wichtigsten Gebiete der nationalen Pro-
duktion seit drei Generationen die Führung gegeben haben:
das Bier und die Kunst.

Wer das Bier lediglich vom engsten Standpunkte des
Volkswirtschaftlers beurteilen wollte, der würde die eine
Hälfte seiner Funktionen übersehen. Das Bier hat sich vom

C 253 3
 
Annotationen