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ARTUR 1LUES, ORCHIDEE

WAS DER TOD ERZAEHLT

VON

HERMANN HEIBERG

„Kein schlechteres Geschäft, als meines!" sagte
der Tod, der mit dem Schlaf bei einem Glase Wein
in einer von Menschen verlassenen Leichenkapelle
safs und schwatzte.

„Du meinst, kein besseres," — fiel der Schlaf ein.

„Was ich halb mache, machst Du ganz. — Ster-
ben ist doch für die Welt das Endziel, nach dem
,Leben' die Summe aller Hoffnungen gewesen."

„Gewifs, wenn meine Kraft stärker ist, als die
der Menschen. Dann komme ich zu meinem Recht,
und ich bin ein gröfserer Erlöser als Du. Aber
während jeder Dich seinen besten Freund nennt,
dankbar Deinen Namen preist, werde ich gehafst
und selbst dann geflohen, wenn sich noch eben
die Hände sehnsüchtig nach mir ausgestreckt haben.
Das, eben das macht mir mein Handwerk so zu-
wider. Es giebt niemanden auf der Welt, den man
so zum Narren hält wie mich."

Und als der Tod der ungläubigen Miene des
Schlafes begegnete, sprach er:

„Ich will es Dir beweisen! Lafs Dir erzählen!

Ich schritt über eine Brücke, hinter der ein
Gebäude mit dicken Mauern und kleinen Fenstern lag.

Ein enger Korridor führte mich in einen hohen
Raum ohne Ausgang.

Vor mir lag eine eiserne Treppe, die durch
einen Mechanismus herabgelassen und wieder em-
porgezogen wurde, als ich oben hinaufgestiegen
war. Achtundvierzig eiserne Thüren führten zu
achtundvierzig Zellen, die ihr Licht durch ein
hoch angebrachtes, vergittertes Fenster empfingen.

In einer dieser Zellen hockte ein Gefangener,
bleich, elend, frierend; er faltete die Hände und
weinte mit flehender Stimme:

„Ach Tod, wenn Du mich doch erlösen wolltest!
Ich weifs, was auf meinem Verbrechen steht; zwanzig
Jahre Zuchthaus! — Zwanzig Jahre Zuchthaus" —
wiederholte er in einem Ton des Grausens. „Dann
lieber gleich sterben!" —

Als ich das hörte, ergriff mich tiefes Mitleid;
ich schickte meine Schwester, die Krankheit, voraus;
sie ergriff und schüttelte ihn in Schmerzen.

Da drückte der Mann auf den Knopf der Klingel,
die den Wärter herbeirief, und schrie ihm zu:

„Eile, eile! Ein fürchterliches Fieber rast durch
meinen Körper! Angst erfüllt mein Inneres. —
Unerträgliche Schmerzen peinigen meine Brust." —

Ich aber stellte mich, nachdem der Wärter
fortgegangen, an sein Lager und flüsterte: „Ich bin
der Tod! Du riefest mich! Willst Du sterben?'

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