P. KAYSER, LANDSEE
EINE NOVEMBERERINNERUNG
VON
HANS MUELLER-BRAUEL
„.....und was ich Dir noch schreiben wollte:
das Birkenbäumchen auf dem Grabe der armen
Anna ist dieses Frühjahr so schön gewachsen, die
Krone ist nun so dicht und grün, du wirst Deine
Freude daran haben. Und wir fürchteten doch
immer, es würde nicht durchkommen. — Mutter
und ich haben neulich das Grab wieder zurecht
gemacht......"
Das Grab der armen Anna] — — — —
Wie lebendig jener Novemberabend vor meiner
Seele steht! . . . Jener Abend, dem ein so trauriger
Tag folgte-------
Novembersturm!
Hei! wie es über die weite Haide raste. Wie
ein wettergepeitschtes Wellenmeer wogte sie hin
und her, auf und nieder. Und die Birken am
Haidewege! Wie angstvoll die sich beugten und
neigten, zitternd, gehorchend und nachgebend,
um von dem rücksichtslosen Herrn nicht gebrochen
zu werden. Denn der würde sie sonst brechen
und lachend ihre Kronen über die Haide treiben.
Dafür ist er ja der Herr, der Stärkere; — und
die Stärkeren haben immer Recht.....
Da litt es mich nicht länger daheim! Ich mufste
hinaus in den Sturm und auf meine Haide.
Denn ich liebe den Sturm!
Und mein Ziel war dann immer der Krähenberg,
- der „Krainbarg", wie er im Volke hiefs - eine
Anhöhe, die fast meilenweit das Land beherrschte.
Zu welcher Zeit es auch war: mochte der Frühling
seinen ersten grünen Schleier über Busch und Bäume
spinnen, mochten in heifser Sommersonne weit
und breit die goldigen, wogenden Kornfelder reifen,
mochte die scheidende Herbstsonne die nahen und
fernen Wiesen, Felder und Wälder in vielfarbig
bunte Gewänder hüllen oder die Wintersonne
bläuliche und violette Schatten über die weite,
mit blendendem Schnee bedeckte Landschaft werfen;
— immer war es dort schön.
Den Krähenberg krönte ein Hain uralter, braun-
ästiger Föhren mit unzähligen Krähenhorsten. Die
Stämme knorrig und verwittert! Ich habe ähnliche
nie und nirgends wiedergesehen.
Sie beschatteten ein halb versunkenes, granitenes,
moosbewachsenes Hünengrab. Ein Herzog läge da-
runter, erzählten die Leute, und eine Menge Sagen
und Geschichten knüpften sich an dieses Grab!
Zwei Wege führten zu ihm. Der eine, be-
quem, gut gebahnt, vom Dorfe her, eine Viertel-
stunde von unserem, etwas alleinstehenden Hause
entfernt, in allerlei Bogen, und über den Berg
weiter zu den Wiesen in der Niederung, durch
die der tiefe, reifsend schnelle Haidebach flofs.
Den anderen Weg suchte man sich selber, —
quer durch die hohe Haide. Den wählte ich heute.
So grausig schön war der Sturm auf der Haide
noch nie gewesen.
Alle Fernen waren eingehüllt von grauen, zer-
fetzten Nebelschleiern, die die Formen verwischten
und Erde und Himmel mit einander verbanden.
Die Machandelbäume — die Cypressen der Haide,
die im Dämmerlicht so gespenstisch-unheimlich
C 287 B
EINE NOVEMBERERINNERUNG
VON
HANS MUELLER-BRAUEL
„.....und was ich Dir noch schreiben wollte:
das Birkenbäumchen auf dem Grabe der armen
Anna ist dieses Frühjahr so schön gewachsen, die
Krone ist nun so dicht und grün, du wirst Deine
Freude daran haben. Und wir fürchteten doch
immer, es würde nicht durchkommen. — Mutter
und ich haben neulich das Grab wieder zurecht
gemacht......"
Das Grab der armen Anna] — — — —
Wie lebendig jener Novemberabend vor meiner
Seele steht! . . . Jener Abend, dem ein so trauriger
Tag folgte-------
Novembersturm!
Hei! wie es über die weite Haide raste. Wie
ein wettergepeitschtes Wellenmeer wogte sie hin
und her, auf und nieder. Und die Birken am
Haidewege! Wie angstvoll die sich beugten und
neigten, zitternd, gehorchend und nachgebend,
um von dem rücksichtslosen Herrn nicht gebrochen
zu werden. Denn der würde sie sonst brechen
und lachend ihre Kronen über die Haide treiben.
Dafür ist er ja der Herr, der Stärkere; — und
die Stärkeren haben immer Recht.....
Da litt es mich nicht länger daheim! Ich mufste
hinaus in den Sturm und auf meine Haide.
Denn ich liebe den Sturm!
Und mein Ziel war dann immer der Krähenberg,
- der „Krainbarg", wie er im Volke hiefs - eine
Anhöhe, die fast meilenweit das Land beherrschte.
Zu welcher Zeit es auch war: mochte der Frühling
seinen ersten grünen Schleier über Busch und Bäume
spinnen, mochten in heifser Sommersonne weit
und breit die goldigen, wogenden Kornfelder reifen,
mochte die scheidende Herbstsonne die nahen und
fernen Wiesen, Felder und Wälder in vielfarbig
bunte Gewänder hüllen oder die Wintersonne
bläuliche und violette Schatten über die weite,
mit blendendem Schnee bedeckte Landschaft werfen;
— immer war es dort schön.
Den Krähenberg krönte ein Hain uralter, braun-
ästiger Föhren mit unzähligen Krähenhorsten. Die
Stämme knorrig und verwittert! Ich habe ähnliche
nie und nirgends wiedergesehen.
Sie beschatteten ein halb versunkenes, granitenes,
moosbewachsenes Hünengrab. Ein Herzog läge da-
runter, erzählten die Leute, und eine Menge Sagen
und Geschichten knüpften sich an dieses Grab!
Zwei Wege führten zu ihm. Der eine, be-
quem, gut gebahnt, vom Dorfe her, eine Viertel-
stunde von unserem, etwas alleinstehenden Hause
entfernt, in allerlei Bogen, und über den Berg
weiter zu den Wiesen in der Niederung, durch
die der tiefe, reifsend schnelle Haidebach flofs.
Den anderen Weg suchte man sich selber, —
quer durch die hohe Haide. Den wählte ich heute.
So grausig schön war der Sturm auf der Haide
noch nie gewesen.
Alle Fernen waren eingehüllt von grauen, zer-
fetzten Nebelschleiern, die die Formen verwischten
und Erde und Himmel mit einander verbanden.
Die Machandelbäume — die Cypressen der Haide,
die im Dämmerlicht so gespenstisch-unheimlich
C 287 B