guten Konzertsänger unter den Opernsängern. Die meisten
machen aus einem lyrischen Gedicht von Meyer oder Storm
ein ganzes Drama, und das ist mehr als man verlangt. Man
kann ein sehr guter Schauspieler und doch ein mittelmäfsiger
Rezitator sein. Die Kunst der Rezitation ist bis jetzt wenig
gepflegt: doch scheint ihr Ansehen und ihre Verbreitung zu
wachsen. Die Schulen stehen, wie allem Künstlerischen, so
auch einer natürlich - schönen Rezitation noch trostlos fern.
Für das Programm des einzelnen Abends war es uns
Grundsatz, ein spielerisches, verwirrendes und ergebnisloses
Vielerlei zu vermeiden und nach möglichster Einheitlichkeit
und Vertiefung des Eindrucks zu streben. Was ein Abend
brachte, das mufste in einem organischen Zusammenhange
stehen und etwas Abgerundetes, wenn auch keineswegs Ab-
geschlossenes sein. So arrangierten wir Dichterabende, einen
Fontane-Abend, einen Falke-Abend, einen Storm-Abend, einen
Hauptmann-Abend etc. etc., an denen über die Dichter und
von den Dichtern gehört wurde; der theoretische Vortrag
und die Vorlesung griffen ineinander, so dass die Vorstellung
„Fontane" für die Hörer, wenn sie nach Hause gingen, einen
positiven, charakteristischen Inhalt bekommen hatte. Die
Leute mussten sich sagen: der Fontane, das ist ein anderer
Kerl als der Hauptmann, und der Hauptmann, das ist wieder
ein anderer als der Liliencron etc. etc. Auch wenn über
allgemeine, besonders dringliche und fruchtbare Themata
gesprochen wird, wie über ßanausentum oder Familienblatt-
poesie, wird durch reichliche Illustration ein möglichst
ganzer Eindruck angestrebt.
Und über aller ernsten Arbeit — ja, das dürfen wir sagen,
dafs wir gearbeitet haben! — vernachlässigten wir das not-
wendige Komplement nicht, das mit der ernsten Arbeit zu-
sammen ein lebenswertes Leben ausmacht: die ungebundene
Freude. Ja, lustig, litterarisch und unlitterarisch lustig sind
wir auch gewesen, so herzlich und innerlich lustig, wie uns
Hamburger der Fremde gar nicht kennt, wie uns nur der
kennt, der bei uns warm geworden ist.
Ich weifs nicht, ob ich alle Prinzipien unserer „Gesell-
schaft" aufgezählt habe; gern möglich, dafs mir einige sehr
wichtige, aber verborgene, entgangen sind. Mir fällt noch
ein, dafs wir es den Leuten
so billig wie möglich gemacht
haben, da dergleichen Institute,
wenigstens in Hamburg, von
den Beiträgen der mittelmässig
oder wenig, ja garnicht Be-
güterten bestehen müssen.
Und — halt! — noch eins
war uns Vorsatz. Wir wollten
und wollen an unserm be-
scheidenen Teile der tödlichen
Zentralisation der Kunst
wehren. Wir sind nicht so ein-
fältig, mit Berlin konkurrieren
zu wollen; dafs eine halbe
Millionenstadt etwas anderes
ist als eine Zweimillionenstadt,
die noch dazu Hauptstadt eines
grofsen Reiches ist, das ist uns
ohne Weiteres klar. Das ist ein
Unterschied zum Schlimmen
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t
und zum Guten für beide Teile. Berlin hat der neuen Dichtung
Luft geschaffen, hat Bresche für sie gelegt, hat ihr vermöge
ihrer Millionen zuerst ein Publikum gegeben. Der Ruhm
wird unserer Reichshauptstadt bleiben müssen. Aber „die
Provinz" hat Deutschland Dichter gegeben, die Berlin ihm nicht
geben konnte noch kann. Ein Liliencron z. B. konnte so wenig
auf Pariser wie auf Berliner Pflaster grofs werden. Wir
wollen uns im Verein mit anderen Nicht-Berlinern freund-
schaftlichst verwahren gegen die mit Hilfe der Presse von
Berliner Kliquen und Verlagsfirmen betriebene Talent-, Genie-,
Ruhm- und Geldfabrikation. Als wir noch jung und un-
schuldig waren, bissen wir gläubig auf alles an, was von
Berlin aus als Talent und Genie propagiert wurde. Nach
diversen „Enttäuschungen" ist man, glaub1 ich, anderswo
so gut wie in Hamburg vorsichtig geworden. Wer meine
starken kosmopolitischen Neigungen einigermafsen kennt,
der weifs zugleich, dafs Börsenspekulation, Polizeispionage
und Massenmord mir annähernd so fern liegen wie Lokal-
patriotismus. Ich weifs, wie wenig wir uns in mancher
Beziehung auf unser Hamburg einbilden können. Nach
bereits Gesagtem ist es z. B. begreiflich, dafs unser „besseres«
Theaterpublikum auf einem tiefen, sehr tiefen Niveau steht
und die moderne Dichtung selbst des erfolgreichen Haupt-
mann auf unserer Bühne keine Statte hat. Das und vieles
andere, wie gesagt, wissen wir. Aber in unserm Verlangen
nach eigener Prüfung wird uns das nicht wanken machen,
und dieses Verlangen wird durch aufdringliche Reklame und
süffisante Bevormundung nur energischer werden. Das, denk'
ich, ist die schönste Hoffnung unseres deutschen Landes, dafs
ewig in jedem seiner Gaue jene selbstbewufste Kraft zu finden
sein wird, die sich willig dem Ganzen hingibt.
Noch eines Unternehmens will ich zum Schlüsse gedenken:
des neugebildeten „Vereins hamburgischer Musikfreunde".
Dieser vom Staate jährlich mit 25000 M. subventionierte
Verein veranstaltet Symphoniekonzerte für ein Entree von
fünfzig Pfennigen. Für diesen Preis kann man noch seine
Garderobe ablegen und erhält man noch ein Programm. Die
Leistungen des Orchesters und der Solisten sind ausgezeichnet;
nur scheint dem Verein, wie ein Hamburger Musikreferent
sehr richtig bemerkt, noch
nicht ganz der pädagogische
Charakter seiner Aufgabe klar
geworden zu sein. Im dritten
Konzert dieser Art schon mit der
Wagner'schen Faustouverture,
mit der Eroica und mit Rubin-
stein sehen Liedern zu kommen,
ist entschieden verkehrt. Aber
der Andrang des Publikums ist
ganz enorm und sein Dank
enthusiastisch. Wer es noch
nicht glaubt, der kommt viel-
leicht durch dergleichen Kon-
zerte zu der Ueberzeugung,
dass die Kunst, die souveräne,
vom Kapitalismus und vom
Akademismus befreite Kunst
die Erzieherin der Zukunft ist.
HERR E. LORENZ MEYER
FACHWERKBAU
Otto Ernst
C 3*2 D
machen aus einem lyrischen Gedicht von Meyer oder Storm
ein ganzes Drama, und das ist mehr als man verlangt. Man
kann ein sehr guter Schauspieler und doch ein mittelmäfsiger
Rezitator sein. Die Kunst der Rezitation ist bis jetzt wenig
gepflegt: doch scheint ihr Ansehen und ihre Verbreitung zu
wachsen. Die Schulen stehen, wie allem Künstlerischen, so
auch einer natürlich - schönen Rezitation noch trostlos fern.
Für das Programm des einzelnen Abends war es uns
Grundsatz, ein spielerisches, verwirrendes und ergebnisloses
Vielerlei zu vermeiden und nach möglichster Einheitlichkeit
und Vertiefung des Eindrucks zu streben. Was ein Abend
brachte, das mufste in einem organischen Zusammenhange
stehen und etwas Abgerundetes, wenn auch keineswegs Ab-
geschlossenes sein. So arrangierten wir Dichterabende, einen
Fontane-Abend, einen Falke-Abend, einen Storm-Abend, einen
Hauptmann-Abend etc. etc., an denen über die Dichter und
von den Dichtern gehört wurde; der theoretische Vortrag
und die Vorlesung griffen ineinander, so dass die Vorstellung
„Fontane" für die Hörer, wenn sie nach Hause gingen, einen
positiven, charakteristischen Inhalt bekommen hatte. Die
Leute mussten sich sagen: der Fontane, das ist ein anderer
Kerl als der Hauptmann, und der Hauptmann, das ist wieder
ein anderer als der Liliencron etc. etc. Auch wenn über
allgemeine, besonders dringliche und fruchtbare Themata
gesprochen wird, wie über ßanausentum oder Familienblatt-
poesie, wird durch reichliche Illustration ein möglichst
ganzer Eindruck angestrebt.
Und über aller ernsten Arbeit — ja, das dürfen wir sagen,
dafs wir gearbeitet haben! — vernachlässigten wir das not-
wendige Komplement nicht, das mit der ernsten Arbeit zu-
sammen ein lebenswertes Leben ausmacht: die ungebundene
Freude. Ja, lustig, litterarisch und unlitterarisch lustig sind
wir auch gewesen, so herzlich und innerlich lustig, wie uns
Hamburger der Fremde gar nicht kennt, wie uns nur der
kennt, der bei uns warm geworden ist.
Ich weifs nicht, ob ich alle Prinzipien unserer „Gesell-
schaft" aufgezählt habe; gern möglich, dafs mir einige sehr
wichtige, aber verborgene, entgangen sind. Mir fällt noch
ein, dafs wir es den Leuten
so billig wie möglich gemacht
haben, da dergleichen Institute,
wenigstens in Hamburg, von
den Beiträgen der mittelmässig
oder wenig, ja garnicht Be-
güterten bestehen müssen.
Und — halt! — noch eins
war uns Vorsatz. Wir wollten
und wollen an unserm be-
scheidenen Teile der tödlichen
Zentralisation der Kunst
wehren. Wir sind nicht so ein-
fältig, mit Berlin konkurrieren
zu wollen; dafs eine halbe
Millionenstadt etwas anderes
ist als eine Zweimillionenstadt,
die noch dazu Hauptstadt eines
grofsen Reiches ist, das ist uns
ohne Weiteres klar. Das ist ein
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ihrer Millionen zuerst ein Publikum gegeben. Der Ruhm
wird unserer Reichshauptstadt bleiben müssen. Aber „die
Provinz" hat Deutschland Dichter gegeben, die Berlin ihm nicht
geben konnte noch kann. Ein Liliencron z. B. konnte so wenig
auf Pariser wie auf Berliner Pflaster grofs werden. Wir
wollen uns im Verein mit anderen Nicht-Berlinern freund-
schaftlichst verwahren gegen die mit Hilfe der Presse von
Berliner Kliquen und Verlagsfirmen betriebene Talent-, Genie-,
Ruhm- und Geldfabrikation. Als wir noch jung und un-
schuldig waren, bissen wir gläubig auf alles an, was von
Berlin aus als Talent und Genie propagiert wurde. Nach
diversen „Enttäuschungen" ist man, glaub1 ich, anderswo
so gut wie in Hamburg vorsichtig geworden. Wer meine
starken kosmopolitischen Neigungen einigermafsen kennt,
der weifs zugleich, dafs Börsenspekulation, Polizeispionage
und Massenmord mir annähernd so fern liegen wie Lokal-
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und die moderne Dichtung selbst des erfolgreichen Haupt-
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nach eigener Prüfung wird uns das nicht wanken machen,
und dieses Verlangen wird durch aufdringliche Reklame und
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Dieser vom Staate jährlich mit 25000 M. subventionierte
Verein veranstaltet Symphoniekonzerte für ein Entree von
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sehr richtig bemerkt, noch
nicht ganz der pädagogische
Charakter seiner Aufgabe klar
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vom Kapitalismus und vom
Akademismus befreite Kunst
die Erzieherin der Zukunft ist.
HERR E. LORENZ MEYER
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Otto Ernst
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