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FRAU MARIE ZACHARIAS, FUHLENTWIETE
HAMBURG
ON allen deutschen Grofsstädten ist keine
nach ihrer Erscheinung und ihrem "Wesen
so unbekannt wie Hamburg. Die meisten
Vorstellungen, die man sich im Reich von
der Stadt und ihren Bewohnern macht, sind
J) schief oder falsch.
Hamburg ist kein Reiseziel, man pflegt es nur flüchtig auf
einer Rundreise zu berühren. Denn von dem, was der gebil-
dete deutsche Durchschnittsreisende zu suchen gewohnt ist,
alte malerische oder romantische Architektur, Sammlungen
alter Kunst und ein leichtes, anheimelndes öffentliches Leben
der Gesellschaft, besitzt Hamburg nicht viel, und der Genufs
dessen, was es zu bieten hat, erfordert Zeit, Ruhe und den
"Willen, sich zu vertiefen, Dinge, die nicht mit auf die Reise
zu nehmen pflegt, wer eine moderne Stadt besucht.
Nirgends auch fällt es dem Reisenden so schwer, sich zu
orientieren und den Eindruck von markanten Linien eines fest-
umrissenen Charakterbildes mitzunehmen. Nur einzelne auf-
fallende Züge, die unter sich nicht recht in Verbindung zu
bringen sind, pflegen haften zu bleiben. Wie in Berlin, Dres-
den oder München der Einheimische lebt und denkt, davon
kann auch der Reisende eine Vorstellung gewinnen; wie der
Hamburger sein Dasein einrichtet, erfährt erst, wer es eine
Zeit lang geteilt hat.
Und während die Malerei und die Litteratur der letzten
Generation in dem Münchner und Berliner Leben reichen
Stoff zu gestalten fand und Menschen und Milieu im Lichte
der Kunst anzuschauen unser ganzes Volk gewöhnt hat,
während Tageszeitungen, illustrierte Blätter, "Witzblätter,
Wochen- und Monatsschriften dort über alle Ereignisse und
Vorgänge berichten, gibt es nur erst die Anfänge einer Ham-
burgischen Litteratur, hat die bildende Kunst die unerschöpf-
lich reichen und vielseitigen Stoffe, die das mannigfaltige
Leben und die wundervolle Hamburger Landschaft ihr bieten
könnten, noch so gut wie unberührt gelassen, und keine illu-
strierten Blätter, Wochen- oder Monatsschriften erscheinen in
Hamburg, die das Reich mit dem, was dort vorgeht, be-
kannt machen könnten.
Auch für Hamburg, die am spätesten entwickelte unter
den drei übrig gebliebenen Hansastädten, gilt die Erfahrung,
dafs sich aus dem Stadtplan Charakter und Gang der Ent-
wicklung ablesen läfst.
Aus seiner heutigen Gestalt allein ist die Geschichte der
Stadt allerdings nicht deutbar. Denn es gibt keine deutsche
Stadt, vielleicht überhaupt keine, deren Strafsennetz und
deren Wasseradern im Lauf der letzten Jahrhunderte so un-
geheure Veränderungen erfahren hätten.
Wie Lübeck und Bremen war Hamburg ursprünglich ein
Bischofssitz gewesen, in welchem die Bürgerschaft sehr früh
die Macht des weit-geistlichen Fürsten bei Seite gedrängt hatte.
Während aber im Stadtplan der beiden Schwesterstädte
die Spur der Bischofsperiode noch deutlich erkennbar geblieben
C 313 D
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FRAU MARIE ZACHARIAS, FUHLENTWIETE
HAMBURG
ON allen deutschen Grofsstädten ist keine
nach ihrer Erscheinung und ihrem "Wesen
so unbekannt wie Hamburg. Die meisten
Vorstellungen, die man sich im Reich von
der Stadt und ihren Bewohnern macht, sind
J) schief oder falsch.
Hamburg ist kein Reiseziel, man pflegt es nur flüchtig auf
einer Rundreise zu berühren. Denn von dem, was der gebil-
dete deutsche Durchschnittsreisende zu suchen gewohnt ist,
alte malerische oder romantische Architektur, Sammlungen
alter Kunst und ein leichtes, anheimelndes öffentliches Leben
der Gesellschaft, besitzt Hamburg nicht viel, und der Genufs
dessen, was es zu bieten hat, erfordert Zeit, Ruhe und den
"Willen, sich zu vertiefen, Dinge, die nicht mit auf die Reise
zu nehmen pflegt, wer eine moderne Stadt besucht.
Nirgends auch fällt es dem Reisenden so schwer, sich zu
orientieren und den Eindruck von markanten Linien eines fest-
umrissenen Charakterbildes mitzunehmen. Nur einzelne auf-
fallende Züge, die unter sich nicht recht in Verbindung zu
bringen sind, pflegen haften zu bleiben. Wie in Berlin, Dres-
den oder München der Einheimische lebt und denkt, davon
kann auch der Reisende eine Vorstellung gewinnen; wie der
Hamburger sein Dasein einrichtet, erfährt erst, wer es eine
Zeit lang geteilt hat.
Und während die Malerei und die Litteratur der letzten
Generation in dem Münchner und Berliner Leben reichen
Stoff zu gestalten fand und Menschen und Milieu im Lichte
der Kunst anzuschauen unser ganzes Volk gewöhnt hat,
während Tageszeitungen, illustrierte Blätter, "Witzblätter,
Wochen- und Monatsschriften dort über alle Ereignisse und
Vorgänge berichten, gibt es nur erst die Anfänge einer Ham-
burgischen Litteratur, hat die bildende Kunst die unerschöpf-
lich reichen und vielseitigen Stoffe, die das mannigfaltige
Leben und die wundervolle Hamburger Landschaft ihr bieten
könnten, noch so gut wie unberührt gelassen, und keine illu-
strierten Blätter, Wochen- oder Monatsschriften erscheinen in
Hamburg, die das Reich mit dem, was dort vorgeht, be-
kannt machen könnten.
Auch für Hamburg, die am spätesten entwickelte unter
den drei übrig gebliebenen Hansastädten, gilt die Erfahrung,
dafs sich aus dem Stadtplan Charakter und Gang der Ent-
wicklung ablesen läfst.
Aus seiner heutigen Gestalt allein ist die Geschichte der
Stadt allerdings nicht deutbar. Denn es gibt keine deutsche
Stadt, vielleicht überhaupt keine, deren Strafsennetz und
deren Wasseradern im Lauf der letzten Jahrhunderte so un-
geheure Veränderungen erfahren hätten.
Wie Lübeck und Bremen war Hamburg ursprünglich ein
Bischofssitz gewesen, in welchem die Bürgerschaft sehr früh
die Macht des weit-geistlichen Fürsten bei Seite gedrängt hatte.
Während aber im Stadtplan der beiden Schwesterstädte
die Spur der Bischofsperiode noch deutlich erkennbar geblieben
C 313 D
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