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förmlich kurze Dialekt-Erzählungen und besonders schotti-
schen Inhalts. Diese Bewegung verpflanzte sich nach England,
und Quiller Couch wurde (unter dem Pseudonym Q^) für
Cornwall, was Barrie für Forfarshire war. Und nun
plötzlich erinnerte man sich auch, dafs ein anderer Schrift-
steller, Hardy, schon seit Jahren sich dem Studium einer ein-
zelnen Grafschaft gewidmet hatte. Gegenwärtig freilich ist
der Sinn für Idyllen schon wieder im Schwinden begriffen, wie
auch Barrie selbst schon wieder auf anderem Gebiete thätig
ist. Seine zweite umfangreichere Novelle •— (the little Mi-
nister, vom Jahre i8pi, errang keinen Erfolg) — erscheint
augenblicklich in einer amerikanischen Zeitschrift und zeigt
die merkwürdigsten Spuren von Meredith's Einfluss. Der
Stil, die Art der Charakterschilderung, die dramatische
Spannung, die ganze Stimmung erinnert deutlich an den
älteren Schriftsteller. Das unterscheidende Merkmal besteht
nur im schottischen Dialekt und in der Schilderung schlichter
Menschen.

Hardy hat in stofflicher Hinsicht viel Aehnlichkeit mit
Barrie, hat aber die herkömmliche Form des Romans bei-
behalten. Es sind bäuerliche Typen, die er zeichnet, mit
unverfälschtem Dialekt, aber von Kleinmalerei keine Spur.
Er ist so überreich an Handlung, dafs er sich nicht darum
kümmert, seine Charaktere künstlerisch zu vertiefen.

Trotz diesen Gegensätzen muss er doch in Bezug auf
intellektuelles Können Meredith gleichgestellt werden. Beide
haben ihre Lebensauffassung, aber während Meredith Opti-
mist, ist Hardy Pessimist. Der eine hat ein Auge für geistige,
der andere für sinnliche Schönheit, und während Hardy für
Humor kaum ein Verständnis hat, überrascht Meredith durch
sprühende Redewendungen und
geistvoll hingeworfene Para-
doxa. Hardy ist der Objek-
tivere und der Realist, der die
Tragödie des Lebens tief em-
pfindet und sich namentlich in
seinen letzten Werken gegen
die widerliche Ungerechtigkeit
des Daseins auflehnt, am deut-
lichsten in 'Tess of the d'Uber-
villes', welcher 1891 erschien.
Wer die blofse Stimmung
eines Buches und seine Milieu-
schilderung, vom Inhalt völlig
abgesehen, überhaupt gelten
läfst, mufs dies für ein Meister-
werk erklären. Die Heldin
ist ein Landmädchen, das in
seiner Jugend verführt und
später an einen Mann verheiratet
wird, der ihre Vergangenheit
nicht kennt. Er verlässt sie,
als er die Wahrheit erfährt.
Sie trifft dann ihren Verführer
wieder und unterliegt ihm auf's
Neue, während ihr Gatte,
seine Härte bereuend, zurück-
kehrt. Als sie sieht, dafs dieser
sie noch immer liebt, erfafst
sie ein solcher Hafs gegen ihren

A Periodical of Protest.

The Lords oj the PhilkHnei went up against, Israel.
And iahen the children oj Israel heard it they luere
a/raid of the Pkiüstines. —I. Samuel, vii., 7.

Verführer, dafs sie zur Mörderin wird. Das Buch hat Fehler,
die selbst der begeistertste Bewunderer zugeben mufs, aber
seine Schönheiten entschädigen für alle Schattenseiten. Die
Sinnlichkeit, die darin zum Ausdruck kommt, die Kraft der
Naturschilderungen, die leise Unterströmung einer Trauer
über die Trübseligkeit des Lebens und über die Hilflosigkeit
des Menschen seinem Geschick gegenüber, sind die Momente,
die seinen Erfolg begründet haben.

*

Rudyard Kipling, den wir noch nennen müssen, ist der
erwähnenswerteste der jüngeren englischen Schriftsteller. Er
lebte viele Jahre in Indien, ist da weit und mit offenen Augen
umhergereist und kann wiedergeben, was er sieht. Obwohl
kaum erst dreifsig Jahre, hat er doch schon eine reiche An-
zahl von Werken geschaffen, wie namentlich: Mulvany,
Ortheris und Learoyd, die Helden von Soldiers Three.
Er ist Meister in der Kunst kurzer Erzählungen aus dem
anglo-indischen Leben und erweist sich in 'Barrack-Room
Ballads', in dem das Soldatenleben behandelt wird, auch als
wirklicher Dichter.

Als Novellist ist er am bedeutendsten in cThe Drums of
the Fore and Aft', cThe man who would be king' und 'The
Disturber of Traffic'. Das erste schildert mit beinahe drama-
tischer Spannung, -wie die Trommler, alle fast noch Knaben,
das vor den Afghanen fliehende Regiment mit dem Lied der
„Britischen Grenadiere" zu Kampf und Sieg zurücktrommeln,
das eigene Leben in die Schanze schlagend. Die zweite Ge-
schichte handelt von einem
Mann, der in einem unbekann-
ten Gebirgsgebiet Indiens von
den Eingeborenen als gött-
liches Wesen verehrt und zum
König gemacht wird. cThe
Disturber of Traffic' schildert
einen Leuchtturmwärter, der
durch den steten Anblick der
um den Leuchtturm rauschen-
den Wasserwirbel dem Wahn-
sinn verfällt.

hifistine

Printed Every Little While
for The Society of The Phil-
istines and Published by . •
Them Monthly. Subscrip-
tion, One Dollar Yearly^"5^
Single Copies, 10 Cents. . •
January, 1896. /«<* ***

Aus dem Gesagten ergibt
sich, dafs die Zahl hervor-
ragender Dichter früher wohl
eine gröfsere war, dafs aber
auch das gegenwärtige Eng-
land namentlich in Meredith,
Hardy und Stevenson litterar-
ische Gröfsen besitzt, die wohl
verdienen, ihren Vorgängern
ebenbürtig genannt zu werden.

Archibald Charteris

C 34+ B
 
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