AMERIKA
NISCHE
CHAP-
BOOKS
gras
iiiil
mm$S^
\$Ww
THE
Chap-
Book
SEMhMONTHLY
wffljjfi
tlarch 15,1896
^
PricelOCents *Pub-
lished bv Stone &
KimbalHChicago
\$$mm$
f||||p
Infi
Seit etwa drei Jahren erscheinen in den gröfseren Städten
Nord-Amerikas billige Halbmonatsschriften kleinen Formates,
in denen junge Schriftsteller und Künstler einen neuen Ton
anzuschlagen sich bemühen. Von dieser Bewegung Kenntnis
zu nehmen verlohnt sich schon deshalb, weil die amerikanische
Spielart der Modernität zur allgemeinen Naturgeschichte
„Neuester" und „Jüngster" eine eigenartige Ergänzung bildet.
Man könnte diese Taschen-Magazine ihrer Tendenz nach
als 'periodicals of protest' bezeichnen — wie sich das eine
von ihnen 'The Philistine' selbst benennt — denn die besten
unter ihnen werden von dem ernsthaften "Wunsche geleitet,
der gedankenlosen vulgären Sensationslust durch Kritik und
selbständige künstlerische Beiträge entgegenzuwirken.
Das 'Chap-Book' eröffnete den Reigen der „Kobold-
Litteratur" im Mai 1894. Zwei junge Harvard-graduates
Herbert S. Stone und H. J. Kimball waren die Herausgeber,
denen sich Bliss Carman, ein moderner amerikanischer Ro-
mantiker, als Redakteur zugesellte, bis Stone und Kimball im
August 1894 von Boston nach Chicago übersiedelten. Seit
April 1896 ist Mr. Stone, welcher der Zeitschrift eine etwas
veränderte Richtung gegeben hat und deren Umfang und den
Preis auf das Doppelte erhöhte (10 Cents die Nummer oder
2 Dollar jährlich), der alleinige Leiter.
Das 'Chap-Book' markierte bei seinem Erscheinen äufser-
lich das billige Volksbuch der guten alten Zeit, wie es der
fahrende englische Kaufmann den biederen Leuten auf dem
Lande als neueste Lektüre mitbrachte*). Indessen will diese
Naivität des Auftretens nicht recht zu dem Inhalt des Chap-
Book von Chicago passen; von derber Hausmannskost ist wenig
*) Vg]- John Ashton's Essai über Chap-Books im Ch. B. III.
zu finden: man rechnet im Gegenteil auf Feinschmecker, die
die besten Küchen von Paris und London gewohnt sind, und
so lange Kaviar noch nicht als selbstverständlicher Bestand-
teil amerikanischer Volksernährung gilt, wird man den Inhalt
des Chap-Book nur zum geringsten Teil als volkstümlich be-
zeichnen können. Das Chap-Book will sogar nur in be-
grenztem Sinne amerikanisch sein, da sein Hauptaugenmerk
darauf gerichtet ist, seinen Leserkreis mit dem Modernsten
in Kosmopolis in Berührung zu bringen.
Eine Reihe bekannter englischer und französischer Schrift-
steller — von neuer deutscher Kunst weifs das Chap-Book noch
nicht viel — geben feinsinnige Analysen oder dichterische
Beiträge. Anatole France z. B. referiert über Paul Verlaine,
und neben den poetischen Schöpfungen der Jungen Amerikas
Kenneth Grahame, Gilbert Parker, Bliss Carman finden wir
Dichtungen von R. L. Stevenson, Henry James und W. Sharp,
der auch gelegentlich die Schriftsteller der "Belgischen Re-
naissance" bespricht.
Das ganze Pantheon fin de siecle wird kritisch durch-
leuchtet: Trilby, die buntschillernde Eintagsfliege, Beardsley,
Wilde neben Maeterlinck, R. L. Stevenson und Ibsen.
"Während die typographische Ausstattung sehr geschmack-
voll ist, sind die künstlerischen Beiträge, soweit sie von
Amerikanern herrühren, abgesehen von den Anzeigeplakaten
Bradley's, der schwächste Teil; von ausländischen Künstlern
trägt Valloton Porträts von Zola und Mallarme' bei.
Die Gefahr, ein weichlich anempfindendes Taschenmagazin
der litterarischen Mode zu werden, vermeidet das Chap-Book
dadurch, dass es gelegentlich den Modernen das Wort zu scharfer
Selbstkritik gibt: so eifern Hamilton W. Mable (one word
more) und Norman Hapgood (the intellectual Parvenü)
C 345 »
<w
NISCHE
CHAP-
BOOKS
gras
iiiil
mm$S^
\$Ww
THE
Chap-
Book
SEMhMONTHLY
wffljjfi
tlarch 15,1896
^
PricelOCents *Pub-
lished bv Stone &
KimbalHChicago
\$$mm$
f||||p
Infi
Seit etwa drei Jahren erscheinen in den gröfseren Städten
Nord-Amerikas billige Halbmonatsschriften kleinen Formates,
in denen junge Schriftsteller und Künstler einen neuen Ton
anzuschlagen sich bemühen. Von dieser Bewegung Kenntnis
zu nehmen verlohnt sich schon deshalb, weil die amerikanische
Spielart der Modernität zur allgemeinen Naturgeschichte
„Neuester" und „Jüngster" eine eigenartige Ergänzung bildet.
Man könnte diese Taschen-Magazine ihrer Tendenz nach
als 'periodicals of protest' bezeichnen — wie sich das eine
von ihnen 'The Philistine' selbst benennt — denn die besten
unter ihnen werden von dem ernsthaften "Wunsche geleitet,
der gedankenlosen vulgären Sensationslust durch Kritik und
selbständige künstlerische Beiträge entgegenzuwirken.
Das 'Chap-Book' eröffnete den Reigen der „Kobold-
Litteratur" im Mai 1894. Zwei junge Harvard-graduates
Herbert S. Stone und H. J. Kimball waren die Herausgeber,
denen sich Bliss Carman, ein moderner amerikanischer Ro-
mantiker, als Redakteur zugesellte, bis Stone und Kimball im
August 1894 von Boston nach Chicago übersiedelten. Seit
April 1896 ist Mr. Stone, welcher der Zeitschrift eine etwas
veränderte Richtung gegeben hat und deren Umfang und den
Preis auf das Doppelte erhöhte (10 Cents die Nummer oder
2 Dollar jährlich), der alleinige Leiter.
Das 'Chap-Book' markierte bei seinem Erscheinen äufser-
lich das billige Volksbuch der guten alten Zeit, wie es der
fahrende englische Kaufmann den biederen Leuten auf dem
Lande als neueste Lektüre mitbrachte*). Indessen will diese
Naivität des Auftretens nicht recht zu dem Inhalt des Chap-
Book von Chicago passen; von derber Hausmannskost ist wenig
*) Vg]- John Ashton's Essai über Chap-Books im Ch. B. III.
zu finden: man rechnet im Gegenteil auf Feinschmecker, die
die besten Küchen von Paris und London gewohnt sind, und
so lange Kaviar noch nicht als selbstverständlicher Bestand-
teil amerikanischer Volksernährung gilt, wird man den Inhalt
des Chap-Book nur zum geringsten Teil als volkstümlich be-
zeichnen können. Das Chap-Book will sogar nur in be-
grenztem Sinne amerikanisch sein, da sein Hauptaugenmerk
darauf gerichtet ist, seinen Leserkreis mit dem Modernsten
in Kosmopolis in Berührung zu bringen.
Eine Reihe bekannter englischer und französischer Schrift-
steller — von neuer deutscher Kunst weifs das Chap-Book noch
nicht viel — geben feinsinnige Analysen oder dichterische
Beiträge. Anatole France z. B. referiert über Paul Verlaine,
und neben den poetischen Schöpfungen der Jungen Amerikas
Kenneth Grahame, Gilbert Parker, Bliss Carman finden wir
Dichtungen von R. L. Stevenson, Henry James und W. Sharp,
der auch gelegentlich die Schriftsteller der "Belgischen Re-
naissance" bespricht.
Das ganze Pantheon fin de siecle wird kritisch durch-
leuchtet: Trilby, die buntschillernde Eintagsfliege, Beardsley,
Wilde neben Maeterlinck, R. L. Stevenson und Ibsen.
"Während die typographische Ausstattung sehr geschmack-
voll ist, sind die künstlerischen Beiträge, soweit sie von
Amerikanern herrühren, abgesehen von den Anzeigeplakaten
Bradley's, der schwächste Teil; von ausländischen Künstlern
trägt Valloton Porträts von Zola und Mallarme' bei.
Die Gefahr, ein weichlich anempfindendes Taschenmagazin
der litterarischen Mode zu werden, vermeidet das Chap-Book
dadurch, dass es gelegentlich den Modernen das Wort zu scharfer
Selbstkritik gibt: so eifern Hamilton W. Mable (one word
more) und Norman Hapgood (the intellectual Parvenü)
C 345 »
<w