UEBER DICHTUNG
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N diesen Tagen wurde viel von „Persön-
lichkeit" geredet, zumal in den Reihen
der Künstler, aber es will mich bedünken,
dass man häufig genug nicht recht wufste,
wovon man sprach. In den achtziger Jahren
nannte man gern alle diejenigen „Individuali-
täten", welche von der Erbarmungswürdig-
keit der Kultur in den letzten drei Decennien
überzeugt waren und hievon in der Sprache
der Pferdeknechte oder mit den Gebärden
der Droschkenführer reichliche Kunde gaben.
Nun, das war sehr gut, und wir Jüngeren
können froh sein, dafs wir nicht dabei
waren. Immerhin war viel schönes, oft auch
richtiges Streben in ihnen, wenn es auch
wenig differenziert erschien; doch das wäre
nicht einmal gut gewesen in einer Zeit, da
die Wege voll jahrzehnte-altem Unrat lagen.
Nun aber sind die Bahnen freier, und die
,____________ alten Recken stehen mit leeren Händen d«
und schauen verwundert (auch ein wenig mifsgünstig) auf
das junge Geschlecht Zarathustras, welches tänzerisch leicht,
mit Rosen im Haar den Kampf verschmäht und Schönheit
will, nur Schönheit. Ja sie argwöhnen gar eine Rückkehr
zu den so mühevoll umgestürzten Altären. Und wie stehen
die alten Recken da, die Persönlichkeit im Herzen! — ihre
Hände sind leer und schwarz von dem vielen Schutt, den
sie ehedem abtrugen.
Aber was ist es mit der Persönlichkeit? Mir will sie als
ein seelischer Ueberschuss erscheinen, der zu gross ist, im
Treiben des Alltags aufzugehen. Sie ist ein Rohmaterial,' das
der Ausdrucksform bedarf, und von der Erfüllung dieser hängt
ihr menschlicher Wert ab. Wenn sie völlig verzettelt wird in
erotischen Abenteuern oder rhetorischen Ergüssen (sei es im
Kaffeehaus oder in den Spalten der Blätter), so ist sie nichtig,
denn sie bedarf eines zusammenhaltenden Willens, um sich
wertvoll auszuleben in einer That, die entweder praktisch in
den Zusammenhang der Dinge eingreift, oder die Erkenntnis
und Schönheit mehrt. So sind Handeln, Forschen, künstlerisch
Schaffen mögliche Ausdrucksformen einer überschüssigen
Kraft, und von einer reinen, formal bestimmten Beanlagung
hängt die Art der Entfaltung ab. Mir ist an dieser Stelle
nur um die dritte Form, das künstlerische Schaffen, zu thun,
und ich will sie reinlich von den andern beiden geschieden
wissen. Das „formale Können", die Ausdrucksmöglichkeit
unterscheidet den Künstler vom feinsinnigen, kunstgeneigten
Laien. Doch ist der Begriff „Form" keineswegs in dem
Sinne zu nehmen, in welchem er von den sogenannten
„akademischen" Kunstrichtungen gefafst wurde, nämlich im
Sinne gefälliger, konventioneller Glätte. Er bedeutet vielmehr
die Fähigkeit, für die abstrakten Vorgänge des Seelenlebens,
als Empfindungen und Gefühle, einen konkreten, sinnen-
fälligen Ausdruck zu finden, sei es nun als charakteristische
melodische Phrase, sei es als malerisch wiedergegebene
Stimmung, sei es als Auflösung in poetische Gleichnisse und
Situationen. Das mag vielen selbstverständlich erscheinen, doch
wurde und wird gegen diese Selbstverständlichkeit immer-
während verstofsen. Ich denke an diejenigen Maler, welche ihre
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N diesen Tagen wurde viel von „Persön-
lichkeit" geredet, zumal in den Reihen
der Künstler, aber es will mich bedünken,
dass man häufig genug nicht recht wufste,
wovon man sprach. In den achtziger Jahren
nannte man gern alle diejenigen „Individuali-
täten", welche von der Erbarmungswürdig-
keit der Kultur in den letzten drei Decennien
überzeugt waren und hievon in der Sprache
der Pferdeknechte oder mit den Gebärden
der Droschkenführer reichliche Kunde gaben.
Nun, das war sehr gut, und wir Jüngeren
können froh sein, dafs wir nicht dabei
waren. Immerhin war viel schönes, oft auch
richtiges Streben in ihnen, wenn es auch
wenig differenziert erschien; doch das wäre
nicht einmal gut gewesen in einer Zeit, da
die Wege voll jahrzehnte-altem Unrat lagen.
Nun aber sind die Bahnen freier, und die
,____________ alten Recken stehen mit leeren Händen d«
und schauen verwundert (auch ein wenig mifsgünstig) auf
das junge Geschlecht Zarathustras, welches tänzerisch leicht,
mit Rosen im Haar den Kampf verschmäht und Schönheit
will, nur Schönheit. Ja sie argwöhnen gar eine Rückkehr
zu den so mühevoll umgestürzten Altären. Und wie stehen
die alten Recken da, die Persönlichkeit im Herzen! — ihre
Hände sind leer und schwarz von dem vielen Schutt, den
sie ehedem abtrugen.
Aber was ist es mit der Persönlichkeit? Mir will sie als
ein seelischer Ueberschuss erscheinen, der zu gross ist, im
Treiben des Alltags aufzugehen. Sie ist ein Rohmaterial,' das
der Ausdrucksform bedarf, und von der Erfüllung dieser hängt
ihr menschlicher Wert ab. Wenn sie völlig verzettelt wird in
erotischen Abenteuern oder rhetorischen Ergüssen (sei es im
Kaffeehaus oder in den Spalten der Blätter), so ist sie nichtig,
denn sie bedarf eines zusammenhaltenden Willens, um sich
wertvoll auszuleben in einer That, die entweder praktisch in
den Zusammenhang der Dinge eingreift, oder die Erkenntnis
und Schönheit mehrt. So sind Handeln, Forschen, künstlerisch
Schaffen mögliche Ausdrucksformen einer überschüssigen
Kraft, und von einer reinen, formal bestimmten Beanlagung
hängt die Art der Entfaltung ab. Mir ist an dieser Stelle
nur um die dritte Form, das künstlerische Schaffen, zu thun,
und ich will sie reinlich von den andern beiden geschieden
wissen. Das „formale Können", die Ausdrucksmöglichkeit
unterscheidet den Künstler vom feinsinnigen, kunstgeneigten
Laien. Doch ist der Begriff „Form" keineswegs in dem
Sinne zu nehmen, in welchem er von den sogenannten
„akademischen" Kunstrichtungen gefafst wurde, nämlich im
Sinne gefälliger, konventioneller Glätte. Er bedeutet vielmehr
die Fähigkeit, für die abstrakten Vorgänge des Seelenlebens,
als Empfindungen und Gefühle, einen konkreten, sinnen-
fälligen Ausdruck zu finden, sei es nun als charakteristische
melodische Phrase, sei es als malerisch wiedergegebene
Stimmung, sei es als Auflösung in poetische Gleichnisse und
Situationen. Das mag vielen selbstverständlich erscheinen, doch
wurde und wird gegen diese Selbstverständlichkeit immer-
während verstofsen. Ich denke an diejenigen Maler, welche ihre
C 31 ö