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So haben die Hohenzollern in Potsdam seit nahezu zwei
und einem halben Jahrhundert die Kunst als ein Ausdrucks-
mittel ihrer Persönlichkeit, ihrer Auffassung des Herrscher-
berufs und — mehr oder weniger unbewufst — der Stimmung
ihrer Zeit gepflegt. Gab es innerhalb der deutschen Kultur
die Mittel nicht, deren sie bedurften, so haben sie sie von
der Stelle importiert, wo gerade Kultur von europäischer
Haltung geschaffen wurde. Fanden sie daheim, was sie
brauchten, so gaben sie stets den nationalen Kräften den
Vorzug.

Am längsten, wenn auch mit Unterbrechungen, hat der
holländische Einflufs sich behauptet, er erstreckt sich von der
Zeit des grofsen Schlofsbaues von 1660 über ein ganzes
Jahrhundert bis zur Errichtung des neuen Palais, und Bau-
meister holländischer Herkunft waren fast die ganze Zeit
hindurch thätig. Potsdam macht äufserlich noch heute einen
stark holländischen Eindruck.

"Weniger unmittelbar herrschen französische Ideen, aber
in Allem, was die Innendekoration anlangt, um so aus-
gesprochener. Wie Friedrich der Grofse ein hervorragender
französischer Schriftsteller war, so gehört die innere Aus-
stattung der Potsdamer Schlösser der "Weiterentwicklung des
französischen Rokokos in ähnlichem Sinne an wie die Ent-
wicklung der Gothik auf deutschem Boden. Aber französische
Baumeister und Kunsthandwerker spielten in Potsdam keine
Rolle. "Wie im Mittelalter die Gothik war die französische
Kunst des Rokoko, die letzte "Weiterentwicklung der Gothik,
Eigentum des deutschen Volkes geworden.

Italienische Baumeister und Kunsthandwerker treten auf-
fallend zurück. Man weifs eigentlich nur von einigen
Dekorationsbildhauern und Stuccatoren. Auch beim Aufbau
der Schlösser herrschen keinerlei italienische Gedanken vor.
Dagegen dienten die Publikationen italienischer Paläste als
bequeme Vorlagen für den Bau der aus königlichen Mitteln
bestrittenen Fassaden der Bürgerhäuser.

Der englische Einflufs tritt zuerst bei der Ausstattung
des Marmorpalais, der Anlage des neuen Gartens und dem
Ausbau von Schlofs und Park Babelsberg auf.

Das Chinesische in der Dekoration unter Friedrich dem
Grofsen, ägyptische Spielereien im Garten des Marmor-
palais, das Russische in der Kolonie Alexandroaska und
der Nikolauskirche, das Norwegische in der Matrosenstation
sind belanglose, aber im Zusammenhang immerhin interessante
Einzelfälle, die im Zeitgeschmack, in Familienbeziehungen
und in persönlichen Liebhabereien ihre Erklärung finden.

Deutsch ist im letzten Grunde trotz der fremden Aus-
drucksmittel Alles, was Friedrich der Grofse und seine
deutschen Baumeister KnobelsdorfF, Büring und Gontard in
Schlössern und Gärten gebaut haben. Deutsch ist die Bau-

thätigkeit Schinkels und seiner Schule unter Friedrich
"Wilhelm IV. und Kaiser "Wilhelm als Prinzen von Preufsen.

Die höchse Leistung ist die Friedrichs des Grofsen, denn
er hat mit einer erstaunlichen Tiefe des Blickes an dem Bau
und der Ausstattung seiner Schlösser die Produktion seines
Volkes erzogen. Bei seinem Tode nahm die preufsische
Kunstindustrie in der Porzellanmanufaktur, in der Möbel-
tischlerei, in der Seidenweberei, in der Bronzearbeit eine der
ersten Plätze in Europa ein. Das Porzellanservice für das
Neue Palais dürfte an Originalität der dekorativen Ideen, an
märchenhafter Schönheit der Form und Farbe überhaupt die
höchste Leistung der europäischen Behandlung des Porzellans
bilden.

Diese Dinge sind dem Fachmann in Deutschland wohl
bekannt, aber dem gebildeten Publikum nicht eigentlich ver-
traut, und die Reisehandbücher können ihm wenig davon
vermitteln. Die Literatur über Potsdam ist reich und be-
deutend, aber wir brauchen in der nächsten Zeit sehr not-
wendig eine knappe, alle wesentlichen Punkte hervorhebende
Arbeit, die in lebendiger Form dem Besucher der Hohen-
zollernstadt Auskunft giebt über die Männer und die Ideen,
ein Stück Psychologie der Rasse und der Epochen, die Pots-
dam erbaut haben. Sie müfste nicht von den Dingen aus-
gehen, sondern von den Menschen. Aus dem "Wesen des
Soldatenkönigs, Friedrichs des Grofsen und seines Knobels-
dorfF, Friedrich Wilhelms IV., Kaiser Wilhelms und Schinkels
müfsten die Bauten begriffen werden. Ist es nicht eigentlich
betrübend, dafs wir noch keine abschliefsenden Studien über
Friedrich den Grofsen und KnobelsdorfF als Künstler besitzen ?
Ja, wenn es Italiener wären!

Auch eine Parallele mit Versailles gehört in das erwünschte
kleine Buch. Aber wir sollten uns hüten, Potsdam fernerhin
das deutsche Versailles zu nennen. Das Schlagwort setzt
Potsdam herab. Die Hohenzollernstadt ist mehr als Versailles,
das doch wesentlich das Monument eines Mannes und einer
Zeit bildet trotz der Dedication ä toutes les gloires de la France.

An Potsdam hat ein grofses Geschlecht gebaut, das in
drei Schicksalsepochen alle Lebenskraft Deutschlands um sich
gesammelt hat, und es ist nicht, wie Versailles, die tote Hülle
einer ausgestorbenen Daseinsform, sondern von wirkendem
Leben erfüllt, eins der dünn über die Welt gesä'ten Beispiele
historischer Monumentalität, die nicht blos als Museum dient.

Alfred Lichtwark

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