lässig eine Unterhaltung mit einander führen, könnten eben
so $rut durch Kleiderpakete oder andere unbelebte Gegen-
stan
de ersetzt sein, wie ja Degas z. B. eine Reihe von Bildern
gemalt hat, bei denen es sich nur um die Darstellung von
Damenhüten, wie sie in den Auslagen der Läden auf Hauben-
stücken stehen, handelte.
Das Geistesleben interessiert ihn als Künstler offenbar nur
in sehr geringem Grade, woher er denn auch seine Vorwürfe so
häufig solchen Gebieten entnimmt, die den Menschen auf dem
tiefsten Stande geistiger Entwicklung oder Verkommenheit
zeigen, wie dem Leben der Balletmädchen und Strafsendirnen.
Hier liegt thatsächlich eine Schranke, wenn auch nicht
seiner Kunst, so doch seines Wirkens vor. Es handelt sich nur
darum, klarzustellen, ob diese Schranke in seinem Wesen be-
gründet ist oder ob sie etwa auf bestimmte äufsere Umstände
zurückgeführt werden mufs. Dafs ersteres nicht der Fall ist,
dafs er auch den Anforderungen, die aus der Schilderung
höchstgesteigerten Seelenlebens erwachsen, gerecht zu werden
vermag, hat er in so manchem seiner Bildnisse bewiesen.
Wenn er aber für gewöhnlich ganz hierauf verzichtet, so
kann das nur aus der besonderen Stellung erklärt werden,
die er überhaupt seiner Zeit gegenüber einnimmt.
Man hat von der Verachtung und dem Hohn gesprochen,
ggmBHBHHHiBHmB
-JBHMHflnBB
die er geflissentlich der Gesellschaft gegenüber bekunde. Doch
ist er viel zu ausschliefslich Künstler, um sich in solcher
Weise einer Tendenz hingeben zu können. Goya, Klinger,
Forain wurden dank ihrer Geistesanlage zu Satirikern: Degas
aber begnügt sich einfach damit, die Eindrücke, die das
Leben seiner Zeit ihm bietet, ohne Philosophie, ohne Kritik
wiederzugeben. Will man ihm etwa einen Vorwurf daraus
machen, dafs er Erhabenes und Schönes darin nicht erblickt,
oder beides für so wenig bezeichnend für unsere Zeit hält,
dafs er lieber auf Darstellungen aus solchem Umkreise ver-
zichtet? Da er die Satire vermeidet und Humor ihm, als
Pariser, unbekannt ist, so bleibt für ihn nur dasjenige Gebiet
übrig, wo sich das moderne Leben in seiner Nacktheit, aber
wenigstens ohne Heuchelei zeigt. Diese Nacktheit ist buch-
stäblich zu verstehen. Degas ist noch einer der wenigen
Maler, die lebendiges, weiches, festes Fleisch statt glatten,
harten Porzellans oder Leders zu malen verstehen. Freilich
handelt es sich für ihn dabei nie um jene idealen Gestalten,
die in der Sonne als in ihrem natürlichen Elemente leben.
Seine Körper sind stets entkleidet und tragen die Spuren der
Kleidung an sich, ganz wie bei Rembrandt, dessen klassisch
gebildete Zeitgenossen gleichfalls solche Ehrlichkeit nicht
verzeihen konnten. Und eben so wenig wie Rembrandt ist
Degas je lüstern. Die Begriffe anständig und unanständig
bestehen für ihn überhaupt nicht, denn stets tritt er den
Dingen mit dem Ernst des Künstlers entgegen. Die Sinnlich-
keit zu reizen liegt ihm ganz fern: im Gegenteil, er wirkt
durch seine harte 'Wahrheitsliebe eher abschreckend und ab-
stofsend. Mit einer kleinen Einschränkung in Bezug auf die
Keuschheit, worunter man doch etwas Positives versteht, kann
man daher Huysmans' Worten wohl beipflichten, der da sagt:
„O, wenn je Werke wenig lüstern waren, wenn je Werke
ohne Verschleierung und Täuschung vollkommen und end-
giltig keusch waren, so sind es gewifs diese hier! Sie ver-
herrlichen vielmehr die Verachtung des Fleisches, wie seit
dem Mittelalter kein Künstler es je wieder gewagt hat."
Eine solche Abkehr von jedem Idealismus und Einschrän-
kung auf ein das Seelenleben so gut wie ausschliefsendes
Gebiet lafst freilich den Künstler als durchaus ungeeignet
erscheinen, um Einflufs auf gröfsere Schichten der Be-
völkerung zu gewinnen. Hieraus erklärt sich auch Degas1
bewufste Abschliefsung von der Oeffentlichkeit. Dafs aber
einem solchen Verhalten ein mindestens eben so starker Idea-
lismus zu Grunde liegt wie derjenige, der zum Malen von
Madonnen- und Hcroenbildern in unserer Zeit nötig ist, wird
erst eine den Dingen mit Ruhe gegenüberstehende Zukunft
einzusehen vermögen.
Auf Degas' künstlerischen Entwicklungsgang einzugehen
ist hier nicht der Ort. Eine Betrachtung der verschiedenen Ein-
flüsse, die er in sich verarbeitet hat, von der Kunst eines Ingres
und Delacroix bis zum Freilicht und dem Japanismus, würde
zeigen, dafs er als der Vertreter des speeifischen modernen
Princips, das Muther zum Leitfaden durch seine Geschichte
der Malerei gewählt hat, angesehen werden kann. Ein Ver-
gleich mit Böcklin und den übrigen Vertretern der neueren
deutschen Malerei, würde aber zugleich zeigen, welch Glück
es für die deutsche Kunst ist, dafs sie überdies noch jenen
positiven Idealismus sich hat bewahren können, der das
Schöne selbst in dieser uns umgebenden Welt erkennt und
es nicht erst in einer jenseitigen suchen mufs.
PUVIS DE CHAVANNES, SKIZZE
<L 59 B
so $rut durch Kleiderpakete oder andere unbelebte Gegen-
stan
de ersetzt sein, wie ja Degas z. B. eine Reihe von Bildern
gemalt hat, bei denen es sich nur um die Darstellung von
Damenhüten, wie sie in den Auslagen der Läden auf Hauben-
stücken stehen, handelte.
Das Geistesleben interessiert ihn als Künstler offenbar nur
in sehr geringem Grade, woher er denn auch seine Vorwürfe so
häufig solchen Gebieten entnimmt, die den Menschen auf dem
tiefsten Stande geistiger Entwicklung oder Verkommenheit
zeigen, wie dem Leben der Balletmädchen und Strafsendirnen.
Hier liegt thatsächlich eine Schranke, wenn auch nicht
seiner Kunst, so doch seines Wirkens vor. Es handelt sich nur
darum, klarzustellen, ob diese Schranke in seinem Wesen be-
gründet ist oder ob sie etwa auf bestimmte äufsere Umstände
zurückgeführt werden mufs. Dafs ersteres nicht der Fall ist,
dafs er auch den Anforderungen, die aus der Schilderung
höchstgesteigerten Seelenlebens erwachsen, gerecht zu werden
vermag, hat er in so manchem seiner Bildnisse bewiesen.
Wenn er aber für gewöhnlich ganz hierauf verzichtet, so
kann das nur aus der besonderen Stellung erklärt werden,
die er überhaupt seiner Zeit gegenüber einnimmt.
Man hat von der Verachtung und dem Hohn gesprochen,
ggmBHBHHHiBHmB
-JBHMHflnBB
die er geflissentlich der Gesellschaft gegenüber bekunde. Doch
ist er viel zu ausschliefslich Künstler, um sich in solcher
Weise einer Tendenz hingeben zu können. Goya, Klinger,
Forain wurden dank ihrer Geistesanlage zu Satirikern: Degas
aber begnügt sich einfach damit, die Eindrücke, die das
Leben seiner Zeit ihm bietet, ohne Philosophie, ohne Kritik
wiederzugeben. Will man ihm etwa einen Vorwurf daraus
machen, dafs er Erhabenes und Schönes darin nicht erblickt,
oder beides für so wenig bezeichnend für unsere Zeit hält,
dafs er lieber auf Darstellungen aus solchem Umkreise ver-
zichtet? Da er die Satire vermeidet und Humor ihm, als
Pariser, unbekannt ist, so bleibt für ihn nur dasjenige Gebiet
übrig, wo sich das moderne Leben in seiner Nacktheit, aber
wenigstens ohne Heuchelei zeigt. Diese Nacktheit ist buch-
stäblich zu verstehen. Degas ist noch einer der wenigen
Maler, die lebendiges, weiches, festes Fleisch statt glatten,
harten Porzellans oder Leders zu malen verstehen. Freilich
handelt es sich für ihn dabei nie um jene idealen Gestalten,
die in der Sonne als in ihrem natürlichen Elemente leben.
Seine Körper sind stets entkleidet und tragen die Spuren der
Kleidung an sich, ganz wie bei Rembrandt, dessen klassisch
gebildete Zeitgenossen gleichfalls solche Ehrlichkeit nicht
verzeihen konnten. Und eben so wenig wie Rembrandt ist
Degas je lüstern. Die Begriffe anständig und unanständig
bestehen für ihn überhaupt nicht, denn stets tritt er den
Dingen mit dem Ernst des Künstlers entgegen. Die Sinnlich-
keit zu reizen liegt ihm ganz fern: im Gegenteil, er wirkt
durch seine harte 'Wahrheitsliebe eher abschreckend und ab-
stofsend. Mit einer kleinen Einschränkung in Bezug auf die
Keuschheit, worunter man doch etwas Positives versteht, kann
man daher Huysmans' Worten wohl beipflichten, der da sagt:
„O, wenn je Werke wenig lüstern waren, wenn je Werke
ohne Verschleierung und Täuschung vollkommen und end-
giltig keusch waren, so sind es gewifs diese hier! Sie ver-
herrlichen vielmehr die Verachtung des Fleisches, wie seit
dem Mittelalter kein Künstler es je wieder gewagt hat."
Eine solche Abkehr von jedem Idealismus und Einschrän-
kung auf ein das Seelenleben so gut wie ausschliefsendes
Gebiet lafst freilich den Künstler als durchaus ungeeignet
erscheinen, um Einflufs auf gröfsere Schichten der Be-
völkerung zu gewinnen. Hieraus erklärt sich auch Degas1
bewufste Abschliefsung von der Oeffentlichkeit. Dafs aber
einem solchen Verhalten ein mindestens eben so starker Idea-
lismus zu Grunde liegt wie derjenige, der zum Malen von
Madonnen- und Hcroenbildern in unserer Zeit nötig ist, wird
erst eine den Dingen mit Ruhe gegenüberstehende Zukunft
einzusehen vermögen.
Auf Degas' künstlerischen Entwicklungsgang einzugehen
ist hier nicht der Ort. Eine Betrachtung der verschiedenen Ein-
flüsse, die er in sich verarbeitet hat, von der Kunst eines Ingres
und Delacroix bis zum Freilicht und dem Japanismus, würde
zeigen, dafs er als der Vertreter des speeifischen modernen
Princips, das Muther zum Leitfaden durch seine Geschichte
der Malerei gewählt hat, angesehen werden kann. Ein Ver-
gleich mit Böcklin und den übrigen Vertretern der neueren
deutschen Malerei, würde aber zugleich zeigen, welch Glück
es für die deutsche Kunst ist, dafs sie überdies noch jenen
positiven Idealismus sich hat bewahren können, der das
Schöne selbst in dieser uns umgebenden Welt erkennt und
es nicht erst in einer jenseitigen suchen mufs.
PUVIS DE CHAVANNES, SKIZZE
<L 59 B