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tritt jetzt erst die Tiefe seines echt deutschen Gemütes in einer
Reihe von weihevollen Bildern hervor; so entstand noch in
Florenz der Eremit, dann nach der Rückkehr ins Vaterland
die Heimkehr des Landsknechts, die Alten in der Garten-
laube und endlich das fünfteilige Altarbild der Himmels-
königin mit der Anbetung des Neugeborenen, dem Abschied
vom Grabe, dem Zug der Weisen aus Morgenland. Die
wildgeniale Kraftnatur berührt sich hier mit einem Künstler,
der im kleinen grofs war, mit Ludwig Richter.

Der Aufenthalt in Zürich und die innige Freundschaft
mit Gottfried Keller brachte noch andere Stimmungen. Der
drastische Humor, ob dessen Böcklin von Jugend auf berühmt
war, regt sich erst jetzt recht in seinen Bildern, wie in dem
Centauren in der Dorfschmiede, in den Najaden in Basel, in
der berühmten Susanna und in der Fischpredigt.

Die Stimmungen wechseln, die Freude an den bewegten
Umrissen des Blattwerks verdrängt wieder etwas die plastischen
Formen des Südens, wie dies ja auch dem milderen Charakter
seiner jetzigen Stimmungen entspricht; aber der rechnende
Verstand sucht immer nach neuen Mitteln die Farbenpracht
zu erhöhen und den Raum zu vertiefen. Dahin zielt die streng
symmetrische Anlage, die den Blick von beiden Seiten in eine
tiefe Mitte führt; wohl zuerst in dem hier mitgeteilten Ent-
wurf zu einer Darstellung „Francesca da Rimini", der noch
aus der florentiner Zeit stammen dürfte, dann in dem „Vitae
Somnium breve" und in der „Gartenlaube". In gleicher Ab-
sicht entstehen jetzt auch die mehrteiligen Bilder. Die beschränk-
tere Tiefe des Raumes, in der die Mittelfigur steht, soll den
Eindruck der Fernsicht auf den Flügeln erhöhen, das undurch-
sichtigere Wasser, in dem die Fische unten sich gegenseitig auf-
fressen, soll oben in der durchsichtigen Luft des Tages die
Fernsicht über die weite Meeresfläche, wo die Fische ihre
heuchlerische Andacht verrichten, steigern.

Die Farbenpracht aber dieser letzten Epoche stellt auch
die Bilder eines Rubens wenigstens in ihrem jetzigen Zustand
in den Schatten.

Noch heute verwirft der Siebzigjährige Angefangenes, um
es gröfser und reifer erstehen zu lassen. Zu seinen letzten
Vorwürfen gehört eine Scene aus dem Orlando furioso, wo in
göttlichem Humor seine unverwüstliche Lebenskraft trium-
phiert. Er hat sein Kapital noch immer nicht angegriffen.

Kraft, Gesundheit, nüchterner Verstand, Geradheit und
ein ungezwungenes Wohlwollen, das sind die Züge, die auch
an der Person dieses Künstlers zuerst in die Augen springen,
dem man krankhafte Ueberreiztheit, künstlerische Verlogen-
heit und Effekthascherei wie keinem zweiten nachgesagt hat.

Auf einem gedrungenen stiernackigen Körper ein von
Runzeln durchzogenes Gesicht, mit einem löwenmäfsigen
blauen Auge. Die ganze Erscheinung an den Offizier einer
Civilarmee oder an einen alten Seebären erinnernd. Im Um-
gang kühl und stolz nur gegen solche, die ihn als eine Kurio-
sität, als Original zu behandeln versuchen, sonst liebenswürdig
und von vornehmer Natürlichkeit. In der Unterhaltung ohne
jede Spur von Bestreben, geistreich zu sein und berühmte Worte
zu sprechen, aber stets geladen mit drastischen Vergleichen
und trockenen Witzen. Beim Urteil über Künstler und Kunst-
werke Lob und Tadel vorsichtig abwägend, und stets während
des Sprechens nach Ausdrücken suchend, mehr einem Gelehrten
ähnlich, als einem Künstler.

Von Natur grofs angelegt, ein Mann der seine Freiheit
nie verkauft, mit den Verhältnissen nie paktiert und alles zu
dem Berufe, den er gewählt, in vollem Mafse besitzt, hat
er die Ehrlichkeit des Starken; von Ehrgeiz nicht, sondern
nur von Schaffensdurst geplagt und bescheiden in seinen
Bedürfnissen, nie in der Versuchung durch Liste und Ränke
äufsere Ehren zu erwerben, bewahrte er sich auch die Stärke
des Ehrlichen.

Auch seinen Schülern prägte er vor Allem ein, sich zu
geben, wie man ist. „Hütet euch vor dem Grofse-Männer-
werden-wollen"; das ist das Vermächtnis Arnold Böcklins.

Heinrich Alfred Schmid







ARNOLD BOECKLIN, AKTSTUDIE
 
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