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GEOEFFNETE THUEREN

„Und was wollen Sie nun ergreifen, Fräulein
Corvin? Welchen Beruf haben Sie sich gewählt?"

„Ich — ich weifs wirklich noch nicht. Tante
Ludmilla will, ich soll zu ihr ziehen — sie wohnt
im Stift, — meine Schwestern aber sagen, ich mufs
nach Berlin — in irgend eine Pension — das
Gymnasium besuchen."

Sie hat eine rührende, kleine Art zu sprechen,
so wie Kinder, oder ganz hoffnungslose Menschen.

„Mut, Mut!" sagt er freundlich „ich begreife
ja — nach solchem Verluste, — aber endlich müssen
Sie doch auch wieder vorwärts denken. Gerade
im Sinne ihres Vaters! Wenn er noch lebte —"

„Ja, Papa wünschte es, dafs wir uns selbständig
machten." —

Doktor Sander blickt teilnahmsvoll auf die junge
schwarzgekleidete Gestalt, die mit verschlungenen
Händen und gesenktem Haupte vor ihm steht,
den Kopf ein wenig zurückgebogen und leichtes
Haar um Ohr und Wange spielend.

Schade, dafs man das süfse kleine Mädel nicht
gleich mit sich nehmen kann. Aber das wäre un-
praktisch. Als armer Privatdozent! Und bis er es
zum Heirathen gebracht hätte, wäre die kleine Olli
Corvin längst selber was geworden. Lehrerin oder
Diakonissin, oder Vorsteherin irgend eines nütz-
lichen Instituts. So eine Berufsfrau — mit all den
Ecken und Härten der Kämpfenden — all dem
Unvornehmen, das den neuen Kulturen anhaftet.
Schade! —

„Das ist mal so heutzutage" sagt er laut. „Die
Mädchen sind selbstbewufster geworden. Sie finden

es unwürdig, nur so dazusitzen und zu warten,
bis man ihnen Titel und Stellung anheiratet.
Nicht wahr? Früher begnügten sie sich mit
dem Negativ „Unverehlicht" als Standesbezeichnung,
heute will jede selbst was sein. Sie dürfen nicht
glauben, dafs ich dagegen spreche! Sie sind im
Rechte. Vollständig im Rechte. Warum hat
man Ihnen den Käfig geöffnet? Nun müssen Sie
eben hinaus."

„Nun mufs man hinaus", wiederholt sie leise.

„Und wir Männer — wenn sich auch manch-
mal noch so ein Rest Pascha in unserm Blute
dagegen wehrt, — wir gewöhnen uns in die neue
Anschauung."

„Ja, ich glaube, so ist es", bestätigt sie wieder
verträumt und traurig.

Brüderlich nimmt er ihre kleinen kalten Hände
zwischen die seinen. „Und vergessen Sie nicht,
dafs Sie Freunde haben, die Ihnen helfen möchten."

Sie ist ganz still vor ihm stehen geblieben,
scheu, wie ein verflogenes Vögelchen, auf das man
die Hand legt.

„Ich weifs, ich weifs", sagt sie hastig, „und sie
fragen ja auch alle, was ich nun „ergreifen" werde."

Er hält noch immer ihre Hände in Haft, ruhig,
ohne Dringlichkeit, aber wie er in ihr stummes,
melancholisches Gesichtchen sieht, quillt eine grofse
Zärtlichkeit in ihm auf, als müsse er dieses hilflose
kleine Geschöpf bewahren und halten fürs Leben.

Es ist sonnig und still im Verandazimmer. Nichts
als das trockene Hüpfgeräusch des Dompfaffen auf
seinen Stangen. Vom Garten atmen die Jasmin-

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