erscheinen. Auch besitzen sie, ohne Frage, einen national-
belgischen Anstrich, gerade in ihrer Kraft der Form- und
Farbengebung. Manches können wir daran lernen; aber
eigentlich vorbild-
lich für unsere deut-
schen Bestrebungen
in dieser Richtung
dürften sie deshalb
doch nicht werden.
Nicht nur weil sich
der vlämische Cha-
rakter darin auch
in seinen Fehlern
zeigt,und weil auch
wir grade unseren
nationalen Charak-
ter zum Ausdruck
bringen sollen: sie
haben auch, durch
die Art des Auf-
trages und ihre Be-
stimmung für ein
Ausstellungslokal,
einen fremdartigen,
unwohnlichen Zug,
sowie durch Ver-
mischung mit Ar-
beiten verschiedener
Nationen einen in-
ternationalen Bei-
geschmack. Diese
vlämische Ueber-
kraft, die in der
derben profillosen
Holzbehandlung, in
den beinahe heerd-
artig vorspringen-
den Kaminen und
ihren mächtigen
rauchfangartigen
Ueberbau mit der
Einlage von Kupfer
und Messing, in der
Verwendung von
Kacheln als Wand-
belag, in der über-
reichen Lokalfär-
bung u. s. f. zur
Geltung tritt, hat
zum Teil etwas
unserer Kunst und
der allgemeinen
Richtung auf das
Leichte, Zarte und
Helle in der Deko-
ration Widerstre-
bendes. Das Rauch-
zimmer hat im Ein-
lassen der wenigen
Möbel in die Wand
MELCHIOR I.ECHTER, GI.ASFENSTER WCGC£<WW<W.N>I'S
und in dem Holz- und Fliesenbelag den Charakter einer Koje;
in dem Salon de Repos hat der kolossale Kamin mit seinen
Seitenvorsprüngen, seiner Kupfer- und Messingdekoration,
seinem rauchfangartigen Oberbau den Charakter eines
vlämischen Heerdes, wie er für ein Grillroom passen würde;
und auch das Efszimmer mit seinem Kupferornament in
Cedernholz eingelassen, mit den hohen Stühlen und dem
grofsen Efstisch mit seiner Flieseneinlage hat mehr von dem
Raum eines Restaurants wie vom häuslichen Efszimmer.
Neben solchen nationalen Eigen- und Unarten, wenn ich so
sagen darf, macht sich in den Zimmern zugleich der specielle
Zweck stark geltend, für den sie in Auftrag gegeben wurden:
als Ausstellungsräume einer internationalen Kunsthandlung
in Paris zu dienen. Dadurch erscheinen die meisten zu sehr
als Durchgangs- oder als Schauräume. Es erklärt sich daraus
die dürftige Ausstattung mit Möbeln und das Einbauen in
die Wand. Der Salon de repos mit seinem Oberlicht, mit
dem kolossalen Mittelsopha und den Wandsophas in den
abgeschrägten Ecken ist richtiger als Galeriesaal zu be-
zeichnen. Die Zimmer sind bestimmt, in erster Linie an den
Wänden, in Schränken und auf den Täfelungen die Kunst-
werke von „l'art nouveau" aufzunehmen und möglichst
günstig zur Geltung zu bringen. Deshalb haben sie trotz
des Bestrebens, Wohnzimmer darzustellen, stark den Bei-
geschmack von Ausstellungsräumen und zugleich von einer
aus malerischer Phantasie frei schaltenden, den praktischen
und nationalen Bedürfnissen zu wenig Rechenschaft tragenden
Kunst. Nach ein paar Proben von Möbeln und Dekorationen
Pariser Künstler, die hie und da angebracht sind, scheint es,
als ob S. Bing selbst sich über diese Mängel klar wäre und
seinen Zimmern oder einem Teil derselben allmählich einen
specifisch französischen Charakter zu geben beabsichtige.
Gerade vor dem freien Schalten der Phantasie, wie es in
diesen Räumen zum Teil schon zu stark sich geltend macht,
würden sich unsere deutschen Künstler, die ihre Kraft der
Innenarchitektur, der Kleinkunst in diesem Sinne widmen
wollen, ganz besonders zu hüten haben. Wo bei uns in Folge
des lokalen Charakters des alten deutschen Hauses nach
Stammes- und Ortsverschiedenheit, namentlich aber wegen der
charakterlosen Zinshäuser der rasch entstandenen grofsen
Städte ein moderner Typus des Hauses, der sich als spezifisch
deutscher bezeichnen liefse, sich noch nicht ausgebildet hat, wo
die modernen Errungenschaften, namentlich in Beleuchtung
und Heizung, noch keine weitere Verbreitung gefunden haben,
liegt die Gefahr nur zu nahe, dafs die Künstler die Zimmerform
und ihre Dekoration blofs aus ihrer Phantasie schöpfen, dafs
sie ihrer Luxusausschmückung die Raumbedürfnisse beliebig
anzupassen suchen werden. Damit wäre mehr geschadet als
genützt! Es lassen sich so ein Atelier, ein Ausstellungs-
lokal, Kaffees oder Restaurants mit einem zeitweisen Erfolg
einrichten; aber um den Palast wie die bürgerliche Wohnung
zu gliedern und zu schmücken, ist vor allem notwendig,
die modernen Lebensansprüche überhaupt unter
Zuhilfenahme aller neuen Erfindungen und Ver-
besserungen vollständig zu berücksichtigen und
dann aus dem deutschenHausderVergangenheitden
C 118 D
belgischen Anstrich, gerade in ihrer Kraft der Form- und
Farbengebung. Manches können wir daran lernen; aber
eigentlich vorbild-
lich für unsere deut-
schen Bestrebungen
in dieser Richtung
dürften sie deshalb
doch nicht werden.
Nicht nur weil sich
der vlämische Cha-
rakter darin auch
in seinen Fehlern
zeigt,und weil auch
wir grade unseren
nationalen Charak-
ter zum Ausdruck
bringen sollen: sie
haben auch, durch
die Art des Auf-
trages und ihre Be-
stimmung für ein
Ausstellungslokal,
einen fremdartigen,
unwohnlichen Zug,
sowie durch Ver-
mischung mit Ar-
beiten verschiedener
Nationen einen in-
ternationalen Bei-
geschmack. Diese
vlämische Ueber-
kraft, die in der
derben profillosen
Holzbehandlung, in
den beinahe heerd-
artig vorspringen-
den Kaminen und
ihren mächtigen
rauchfangartigen
Ueberbau mit der
Einlage von Kupfer
und Messing, in der
Verwendung von
Kacheln als Wand-
belag, in der über-
reichen Lokalfär-
bung u. s. f. zur
Geltung tritt, hat
zum Teil etwas
unserer Kunst und
der allgemeinen
Richtung auf das
Leichte, Zarte und
Helle in der Deko-
ration Widerstre-
bendes. Das Rauch-
zimmer hat im Ein-
lassen der wenigen
Möbel in die Wand
MELCHIOR I.ECHTER, GI.ASFENSTER WCGC£<WW<W.N>I'S
und in dem Holz- und Fliesenbelag den Charakter einer Koje;
in dem Salon de Repos hat der kolossale Kamin mit seinen
Seitenvorsprüngen, seiner Kupfer- und Messingdekoration,
seinem rauchfangartigen Oberbau den Charakter eines
vlämischen Heerdes, wie er für ein Grillroom passen würde;
und auch das Efszimmer mit seinem Kupferornament in
Cedernholz eingelassen, mit den hohen Stühlen und dem
grofsen Efstisch mit seiner Flieseneinlage hat mehr von dem
Raum eines Restaurants wie vom häuslichen Efszimmer.
Neben solchen nationalen Eigen- und Unarten, wenn ich so
sagen darf, macht sich in den Zimmern zugleich der specielle
Zweck stark geltend, für den sie in Auftrag gegeben wurden:
als Ausstellungsräume einer internationalen Kunsthandlung
in Paris zu dienen. Dadurch erscheinen die meisten zu sehr
als Durchgangs- oder als Schauräume. Es erklärt sich daraus
die dürftige Ausstattung mit Möbeln und das Einbauen in
die Wand. Der Salon de repos mit seinem Oberlicht, mit
dem kolossalen Mittelsopha und den Wandsophas in den
abgeschrägten Ecken ist richtiger als Galeriesaal zu be-
zeichnen. Die Zimmer sind bestimmt, in erster Linie an den
Wänden, in Schränken und auf den Täfelungen die Kunst-
werke von „l'art nouveau" aufzunehmen und möglichst
günstig zur Geltung zu bringen. Deshalb haben sie trotz
des Bestrebens, Wohnzimmer darzustellen, stark den Bei-
geschmack von Ausstellungsräumen und zugleich von einer
aus malerischer Phantasie frei schaltenden, den praktischen
und nationalen Bedürfnissen zu wenig Rechenschaft tragenden
Kunst. Nach ein paar Proben von Möbeln und Dekorationen
Pariser Künstler, die hie und da angebracht sind, scheint es,
als ob S. Bing selbst sich über diese Mängel klar wäre und
seinen Zimmern oder einem Teil derselben allmählich einen
specifisch französischen Charakter zu geben beabsichtige.
Gerade vor dem freien Schalten der Phantasie, wie es in
diesen Räumen zum Teil schon zu stark sich geltend macht,
würden sich unsere deutschen Künstler, die ihre Kraft der
Innenarchitektur, der Kleinkunst in diesem Sinne widmen
wollen, ganz besonders zu hüten haben. Wo bei uns in Folge
des lokalen Charakters des alten deutschen Hauses nach
Stammes- und Ortsverschiedenheit, namentlich aber wegen der
charakterlosen Zinshäuser der rasch entstandenen grofsen
Städte ein moderner Typus des Hauses, der sich als spezifisch
deutscher bezeichnen liefse, sich noch nicht ausgebildet hat, wo
die modernen Errungenschaften, namentlich in Beleuchtung
und Heizung, noch keine weitere Verbreitung gefunden haben,
liegt die Gefahr nur zu nahe, dafs die Künstler die Zimmerform
und ihre Dekoration blofs aus ihrer Phantasie schöpfen, dafs
sie ihrer Luxusausschmückung die Raumbedürfnisse beliebig
anzupassen suchen werden. Damit wäre mehr geschadet als
genützt! Es lassen sich so ein Atelier, ein Ausstellungs-
lokal, Kaffees oder Restaurants mit einem zeitweisen Erfolg
einrichten; aber um den Palast wie die bürgerliche Wohnung
zu gliedern und zu schmücken, ist vor allem notwendig,
die modernen Lebensansprüche überhaupt unter
Zuhilfenahme aller neuen Erfindungen und Ver-
besserungen vollständig zu berücksichtigen und
dann aus dem deutschenHausderVergangenheitden
C 118 D