BUERGERLICHE BAUKUNST
WIR Deutschen sind ein unpraktisches Volk. "Wenn
wir nach langem Ringen und auf manchen Um-
wegen ein Ziel erreichen, pflegt es eine geschlagene Stunde
zu spät zu sein. • '
Fast ein Jahrhundert lang haben wir gelassen zugesehen,
wie der wertvollste alte Kunstbesitz aus Kirchen, Klöstern,»
Ratshäusern und alten Schlössern vom Handel in die aus-
ländische Kulturwelt entführt wurde. Heute wird jedes
wurmstichige Kruzifix, jeder morsche Grabstein im Reich
inventarisiert, und wir beschränken uns nicht darauf, in
den Hauptstädten das allerbeste an noch erreichbaren Alt-.
Sachen zu sammeln, sondern errichten fast in jeder Pro-
vinzialstadt kostbare Monumentalbauten, um allerlei Boden-
rummel, dessen Wert zu dem des Museumsbaues in keinem
Verhältnis steht, prunkhaft aufzustellen. Wo er dann als
ewiges Vorbild die Begriffe verwirrt.
Und während wir — zu spät — uns um die Rettung
und Erhaltung von toten Dingen aus abgestorbenen: Zeit-
altern bemühen, die zum allergröfsten Teil kaum den Historiker
angehen, lassen wir die noch lebendigen und lebensfähigen
Ausläufer einer jüngstvergangenen Kulturepoche zu Grunde
richten. Ueberall studiert man das alte deutsche Bauernhaus
und legt die Ergebnisse in dicken Bänden für den Gebrauch
des Archäologen nieder. Hat man aber davon gehört, dafs die
Bauschulen, auf denen die Maurermeister gebildet werden,
die die Bauernhäuser umbauen oder neu aufführen sollen,
ihre Zöglinge anhalten, nach Möglichkeit die praktischen
und künstlerischen Gedanken des alten Bauernhauses als
Ausgangspunkt zu nehmen? Im Gegenteil, man füttert sie*
wie der Augenschein lehrt, allerorten mit derselben zeitlosen
Kunst.
Und noch schlimmer steht es überall mit der bürgerlichen
Baukunst. Jede Provinz besitzt aus dem vergangenen Jahr-
hundert, wenn nicht aus noch älterer Zeit, ihre eigenartigen
künstlerischen Ausdrucksmittel für die Bedürfnisse des bürger-
lichen Wohnhauses. Vor einem Jahrzehnt wiesen die klei-
neren Städte noch überall den einheitlichen Charakter einer
gediegenen bodenwüchsigen Bauweise auf. Und heute erleben
wir an allen Ecken und Enden, wie von den Bauschulen und
Akademien ein unverantwortlich armseliger, unverständiger
neuer Geschmack eindringt — wenn man es Geschmack
nennen will —, das Vorhandene zerstört und an die Stelle einer
gediegenen Tradition den charakterlosen Mischmasch unver-
standen zusammengestohlener oder handwerksmäfsig aus einer
spielerigen Technik entwickelter Formen setzt.
In meiner engeren Heimat sehe ich das Unheil seit Jahren
seinen Gang gehen. Was ist aus Blankenese geworden,
dessen reiche einheimische Architektur alle Motive enthielt*
aus denen ein verständiger Architekt das moderne bürgerliche
Landhaus unserer Zeit hätte entwickeln können! Architekten
und Maurermeister haben an Stelle der wundervollen, maleri-
schen Fischer- und SchifFerarchitektur die ödesten, platteste»
Ausgeburten jeglicher Art von Akademismus gesetzt
Warum können die Engländer eine heimische Bauweise
am Leben erhalten und weiter entwickeln nach den; Bedürf-
nissen jedes neuen Geschlechts, und warum können wir es
nicht?
Bei uns wird beständig experimentiert.
Ich weifs nicht, ob es in Norddeutschland eine Bauaka-
demie oder Bauschule giebt, die nicht Architektur an sich
lehrt, Antike, Gotik, Renaissance, sondern für den Hausbau
auf die überall noch vorhandene Grundlage der heimischen
C I6~9 B
22
WIR Deutschen sind ein unpraktisches Volk. "Wenn
wir nach langem Ringen und auf manchen Um-
wegen ein Ziel erreichen, pflegt es eine geschlagene Stunde
zu spät zu sein. • '
Fast ein Jahrhundert lang haben wir gelassen zugesehen,
wie der wertvollste alte Kunstbesitz aus Kirchen, Klöstern,»
Ratshäusern und alten Schlössern vom Handel in die aus-
ländische Kulturwelt entführt wurde. Heute wird jedes
wurmstichige Kruzifix, jeder morsche Grabstein im Reich
inventarisiert, und wir beschränken uns nicht darauf, in
den Hauptstädten das allerbeste an noch erreichbaren Alt-.
Sachen zu sammeln, sondern errichten fast in jeder Pro-
vinzialstadt kostbare Monumentalbauten, um allerlei Boden-
rummel, dessen Wert zu dem des Museumsbaues in keinem
Verhältnis steht, prunkhaft aufzustellen. Wo er dann als
ewiges Vorbild die Begriffe verwirrt.
Und während wir — zu spät — uns um die Rettung
und Erhaltung von toten Dingen aus abgestorbenen: Zeit-
altern bemühen, die zum allergröfsten Teil kaum den Historiker
angehen, lassen wir die noch lebendigen und lebensfähigen
Ausläufer einer jüngstvergangenen Kulturepoche zu Grunde
richten. Ueberall studiert man das alte deutsche Bauernhaus
und legt die Ergebnisse in dicken Bänden für den Gebrauch
des Archäologen nieder. Hat man aber davon gehört, dafs die
Bauschulen, auf denen die Maurermeister gebildet werden,
die die Bauernhäuser umbauen oder neu aufführen sollen,
ihre Zöglinge anhalten, nach Möglichkeit die praktischen
und künstlerischen Gedanken des alten Bauernhauses als
Ausgangspunkt zu nehmen? Im Gegenteil, man füttert sie*
wie der Augenschein lehrt, allerorten mit derselben zeitlosen
Kunst.
Und noch schlimmer steht es überall mit der bürgerlichen
Baukunst. Jede Provinz besitzt aus dem vergangenen Jahr-
hundert, wenn nicht aus noch älterer Zeit, ihre eigenartigen
künstlerischen Ausdrucksmittel für die Bedürfnisse des bürger-
lichen Wohnhauses. Vor einem Jahrzehnt wiesen die klei-
neren Städte noch überall den einheitlichen Charakter einer
gediegenen bodenwüchsigen Bauweise auf. Und heute erleben
wir an allen Ecken und Enden, wie von den Bauschulen und
Akademien ein unverantwortlich armseliger, unverständiger
neuer Geschmack eindringt — wenn man es Geschmack
nennen will —, das Vorhandene zerstört und an die Stelle einer
gediegenen Tradition den charakterlosen Mischmasch unver-
standen zusammengestohlener oder handwerksmäfsig aus einer
spielerigen Technik entwickelter Formen setzt.
In meiner engeren Heimat sehe ich das Unheil seit Jahren
seinen Gang gehen. Was ist aus Blankenese geworden,
dessen reiche einheimische Architektur alle Motive enthielt*
aus denen ein verständiger Architekt das moderne bürgerliche
Landhaus unserer Zeit hätte entwickeln können! Architekten
und Maurermeister haben an Stelle der wundervollen, maleri-
schen Fischer- und SchifFerarchitektur die ödesten, platteste»
Ausgeburten jeglicher Art von Akademismus gesetzt
Warum können die Engländer eine heimische Bauweise
am Leben erhalten und weiter entwickeln nach den; Bedürf-
nissen jedes neuen Geschlechts, und warum können wir es
nicht?
Bei uns wird beständig experimentiert.
Ich weifs nicht, ob es in Norddeutschland eine Bauaka-
demie oder Bauschule giebt, die nicht Architektur an sich
lehrt, Antike, Gotik, Renaissance, sondern für den Hausbau
auf die überall noch vorhandene Grundlage der heimischen
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