alte Hütte wirkt monumentaler als irgend ein überladener
grofsstädtischer Prachtbau in deutscher Renaissance oder
Barock.
*
Auch einzelne Neubauten kommen schon in Betracht.
Es ist schlimm, dafs Staatsbauten wie die Reichspost in
Zellerfeld, die eben fertiggestellt ist, mit ihren gotisierenden
Giebeln und den schematischen, handtuchfürmigen Fenstern
in „naturfarben" gestrichenem Holzwerk ein so verderbliches
Beispiel giebt. Was für Unheil und Verwirrung ein einziger
Bau anrichten kann.
Aber immerhin mufs anerkannt werden, dafs dies Post-
gebäude sich mit seiner Holzverschalung noch der ortsüblichen
Bauweise anpafst.
Bedenklicher ist das Wohnhaus eines Maurermeisters, das
sich im Rohbau hannoverscher Tendenz zwischen den beiden
Städten am Zellbach erhebt. Ein aus gediegenem Material
aufgeführter Kasten, der mit seiner akademischen Fenster-
bildung und dem Verzicht auf Farbe als ungeheure Geschmack-
losigkeit in der reizvollen koloristischen Architektur der
kleinen Häuser seiner Umgebung steht. Aber es wird hier
wie überall gehen: die Besitzer der kleinen Häuser werden
den ungefügen Block für gut halten, und wer einen Neubau
plant, wird sich solch ein Haus wünschen. Wären aber die
beiden Städte ganz in diesem Stil errichtet, so müfsten Künst-
ler und Kunstfreunde durch Warnungstafeln im weiten Um-
kreis vor dem Betreten der Stätte gewarnt werden.
Der Erbauer handelt in gutem Glauben, er bringt zur
Anwendung, was er auf der Bauschule gelernt hat. Nicht
er, die Schule ist für das Unglück verantwortlich.
Auch die deutsche Renaissance spukt schon vor. Ein
Schlächtermeister hat sich als Ladeneingang ein Triumphthor
an das Haus kleben lassen mit reichornamentierten Säulen
und einem Giebelfeld, in dem zwei Waldschnepfen an einer
Weintraube naschen.
Nicht lange, so wird es der Traum jedes Bergmanns
werden, durch solch ein geschmücktes Portal in sein Haus
zu treten, das viele sehr schmale Fenster mit Stucksäulen
und Gebälk, einen Turm mit Zwiebelkuppel und ein reich-
gegliedertes Dach mit vielen Erkern haben mufs.
Dies ist keine müfsige Phantasie: sobald die beiden Berg-
städte, was bevorzustehen scheint, Winterkurorte werden,
wird jeder so bauen können.
Vielleicht ist noch die Hauptsache zu retten, vielleicht
sogar Verlorenes zurückzugewinnen, wenn von der richtigen
Stelle aus gearbeitet wird.
Es ist Sache des Landrats von Zellerfeld, der bereits ein
Lokalmuseum gegründet hat, der Pastoren und Lehrer, denen
die Bildung der Einwohner anvertraut ist, ihnen klar zu
machen, welch kostbaren Besitz sie aufgeben, wenn sie sich
von den Maurer- und Malermeistern verleiten lassen, den ver-
derblichen Geschmack aufzunehmen, der von den Schulen
mitgebracht wird.
Lehrer und Pastoren sind vor Allen berufen. Denn mit
dem einfachen koloristischen Hause, das sein Bewohner durch
eigenhändige Erneuerung des Anstriches selber frisch und
freundlich zu halten imstande ist, schwindet der letzte Rest
künstlerischer Kultur, schwindet die Freude am Hause und
an der so wichtigen Blumenzucht, die hinter holzfarben
gestrichenen Fensterrahmen erfahrungsgemäfs zurückgeht.
Mögen die Seelenhirten ihres Amtes walten!
Doch liegen die letzten Ursachen des Uebels nicht in
lokalen Zuständen, sondern an der Erziehung, die unsere
Architekten an den Hochschulen, unsere Bauhandwerker an
den Baugewerk- und Malerschulen erhalten.
Offenbar fehlt es überall an der Ueberzeugung, dafs es für
die bürgerliche Architektur nicht auf die ornamentale Form
— einerlei ob sie dem hannoverschen Backsteinbau oder
einem der in Berlin gepflegten historischen Stile vom Flam-
boyant bis zum Rokoko angehört — sondern auf die Farbe
ankommt.
Möge dem kommenden Geschlecht von Architekten und
Bauhandwerkern deshalb vor Allem eine gediegene Erziehung
des Farbengefühls zu teil werden. Ist die Vorliebe für Stein-
grau, für den holzfarbenen Anstrich, für die Lasur des Holzes
im Baugewerbe überwunden, so wird die Verwendung des
albernen aufgewärmten plastischen Ornaments von selber
verschwinden. Sowie der weifsgestrichene Fensterrahmen
und die grüne Thür wieder da sind, mufs aller überflüssige
plastische Schmuck fallen und damit die Zwangsjacke der
modernen Fassade, die die Wiedereinführung des breiten
nordischen Fensters verhindert.
Erst auf der Grundlage dieser koloristischen Tendenzen
wird es möglich sein, eine bürgerliche Baukunst zu entwickeln,
die keine Karikatur ist und selbst bei den geringsten Dimen-
sionen die Monumentalität besitzt, die heute selbst den
massigsten Bauwerken so oft abgeht.
Noch ist in den kleinen Städten und Dörfern im ganzen
Norden das Material vorhanden, um das Wesen des kolo-
ristischen bürgerlichen Baustils kennen und empfinden zu
lernen. Aber es ist schon die höchste Zeit, wenn wir nicht
wieder einmal zu spät kommen wollen.
■ ♦
Alfred Lichtwark
grofsstädtischer Prachtbau in deutscher Renaissance oder
Barock.
*
Auch einzelne Neubauten kommen schon in Betracht.
Es ist schlimm, dafs Staatsbauten wie die Reichspost in
Zellerfeld, die eben fertiggestellt ist, mit ihren gotisierenden
Giebeln und den schematischen, handtuchfürmigen Fenstern
in „naturfarben" gestrichenem Holzwerk ein so verderbliches
Beispiel giebt. Was für Unheil und Verwirrung ein einziger
Bau anrichten kann.
Aber immerhin mufs anerkannt werden, dafs dies Post-
gebäude sich mit seiner Holzverschalung noch der ortsüblichen
Bauweise anpafst.
Bedenklicher ist das Wohnhaus eines Maurermeisters, das
sich im Rohbau hannoverscher Tendenz zwischen den beiden
Städten am Zellbach erhebt. Ein aus gediegenem Material
aufgeführter Kasten, der mit seiner akademischen Fenster-
bildung und dem Verzicht auf Farbe als ungeheure Geschmack-
losigkeit in der reizvollen koloristischen Architektur der
kleinen Häuser seiner Umgebung steht. Aber es wird hier
wie überall gehen: die Besitzer der kleinen Häuser werden
den ungefügen Block für gut halten, und wer einen Neubau
plant, wird sich solch ein Haus wünschen. Wären aber die
beiden Städte ganz in diesem Stil errichtet, so müfsten Künst-
ler und Kunstfreunde durch Warnungstafeln im weiten Um-
kreis vor dem Betreten der Stätte gewarnt werden.
Der Erbauer handelt in gutem Glauben, er bringt zur
Anwendung, was er auf der Bauschule gelernt hat. Nicht
er, die Schule ist für das Unglück verantwortlich.
Auch die deutsche Renaissance spukt schon vor. Ein
Schlächtermeister hat sich als Ladeneingang ein Triumphthor
an das Haus kleben lassen mit reichornamentierten Säulen
und einem Giebelfeld, in dem zwei Waldschnepfen an einer
Weintraube naschen.
Nicht lange, so wird es der Traum jedes Bergmanns
werden, durch solch ein geschmücktes Portal in sein Haus
zu treten, das viele sehr schmale Fenster mit Stucksäulen
und Gebälk, einen Turm mit Zwiebelkuppel und ein reich-
gegliedertes Dach mit vielen Erkern haben mufs.
Dies ist keine müfsige Phantasie: sobald die beiden Berg-
städte, was bevorzustehen scheint, Winterkurorte werden,
wird jeder so bauen können.
Vielleicht ist noch die Hauptsache zu retten, vielleicht
sogar Verlorenes zurückzugewinnen, wenn von der richtigen
Stelle aus gearbeitet wird.
Es ist Sache des Landrats von Zellerfeld, der bereits ein
Lokalmuseum gegründet hat, der Pastoren und Lehrer, denen
die Bildung der Einwohner anvertraut ist, ihnen klar zu
machen, welch kostbaren Besitz sie aufgeben, wenn sie sich
von den Maurer- und Malermeistern verleiten lassen, den ver-
derblichen Geschmack aufzunehmen, der von den Schulen
mitgebracht wird.
Lehrer und Pastoren sind vor Allen berufen. Denn mit
dem einfachen koloristischen Hause, das sein Bewohner durch
eigenhändige Erneuerung des Anstriches selber frisch und
freundlich zu halten imstande ist, schwindet der letzte Rest
künstlerischer Kultur, schwindet die Freude am Hause und
an der so wichtigen Blumenzucht, die hinter holzfarben
gestrichenen Fensterrahmen erfahrungsgemäfs zurückgeht.
Mögen die Seelenhirten ihres Amtes walten!
Doch liegen die letzten Ursachen des Uebels nicht in
lokalen Zuständen, sondern an der Erziehung, die unsere
Architekten an den Hochschulen, unsere Bauhandwerker an
den Baugewerk- und Malerschulen erhalten.
Offenbar fehlt es überall an der Ueberzeugung, dafs es für
die bürgerliche Architektur nicht auf die ornamentale Form
— einerlei ob sie dem hannoverschen Backsteinbau oder
einem der in Berlin gepflegten historischen Stile vom Flam-
boyant bis zum Rokoko angehört — sondern auf die Farbe
ankommt.
Möge dem kommenden Geschlecht von Architekten und
Bauhandwerkern deshalb vor Allem eine gediegene Erziehung
des Farbengefühls zu teil werden. Ist die Vorliebe für Stein-
grau, für den holzfarbenen Anstrich, für die Lasur des Holzes
im Baugewerbe überwunden, so wird die Verwendung des
albernen aufgewärmten plastischen Ornaments von selber
verschwinden. Sowie der weifsgestrichene Fensterrahmen
und die grüne Thür wieder da sind, mufs aller überflüssige
plastische Schmuck fallen und damit die Zwangsjacke der
modernen Fassade, die die Wiedereinführung des breiten
nordischen Fensters verhindert.
Erst auf der Grundlage dieser koloristischen Tendenzen
wird es möglich sein, eine bürgerliche Baukunst zu entwickeln,
die keine Karikatur ist und selbst bei den geringsten Dimen-
sionen die Monumentalität besitzt, die heute selbst den
massigsten Bauwerken so oft abgeht.
Noch ist in den kleinen Städten und Dörfern im ganzen
Norden das Material vorhanden, um das Wesen des kolo-
ristischen bürgerlichen Baustils kennen und empfinden zu
lernen. Aber es ist schon die höchste Zeit, wenn wir nicht
wieder einmal zu spät kommen wollen.
■ ♦
Alfred Lichtwark