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eigenartig, ursprünglich gewesen; Inhalt und Form deckten
sich vollständig. Im Marienleben machte sich eine gröfsere
Ueberlegsamkeit, eine bessere Abwägung geltend, immer aber
schwebte noch über dem Ganzen der Zauberduft des Märchen-
haften, Ueberirdischen, Phantastischen. Nur ein deutscher
Künstler konnte derartiges hervorbringen. In der Kleinen
Passion dagegen kommen solche Offenbarungen nur noch
als Ausnahmen vor: da ist alles klar und bestimmt und
einfach, eine Weltsprache der Formen herrscht vor, die
freilich jedermann reden kann, der aber auch jeder Gefühls-
inhalt, er sei noch so individuell oder national gefärbt, sich
unerbittlich fügen mufs. Dieses kosmopolitische Element
haben sich freilich Dürers
Schüler, die Kleinmeister, an-
zueignen gewufst; dadurch
hat der Meister noch über die
ganze folgende Künstlergene-
ration geherrscht: sein Bestes
aber, seine Eigenart, die er sich
durch alle "Wandlungen seines
Lebens hindurch ungeschmä-
lert bewahrt hat, ist mit ihm
in das Grab gesunken.

Auf diesen Kern seines
"Wesens, der ihn von den Vor-
gängern , Zeitgenossen und
Nachfolgern unterscheidet,
kommt es allein an. Das ist
das Unsterbliche und ewig Fort-
wirkende an ihm, nicht aber
die unmittelbare "Wirkung, die
er geübt und die eben so gut
auch verderblich oder nutzlos
hätte sein können. Gerade
weil die Apokalypse, sein kraft-
strotzendes Jugendwerk, diese
Eigenart am unverfälschtesten
zeigt, besitzt sie eine so unge-
heure Bedeutung für die Kennt-
nis des Künstlers.

Fafst man diese Folge von
fünfzehn grofsen Blättern ins
Auge (das Titelblatt ist erst
151 o hinzugefügt worden), so
ergeben sich drei Gruppen von
Darstellungen. In der ersten
geht der Künstler darauf aus,
in engem Anschlufs an den
barocken Text die ganze Bild-
fläche mit einer Menge der
absonderlichsten Einzelheiten
auszufüllen, darin einem echt
deutschen Zuge zu übertrie-
bener Phantastik nachgebend,
der in jener Zeit und besonders
in Dürer stark blühte. Dazu
gehören namentlich die ver-

schiedenen Blätter mit dem siebenköpfigen Drachen, der
zehn Kronen aufhat; ferner die Himmelszeichen. Die können
wir ruhig bei Seite lassen und machen nur die Bemerkung,
dafs das babylonische "Weib in seinem prunkhaften Gewände
und mit der kunstvollen Frisur nicht, wie Thausing will, eine
Dame darstellt oder gar, wie Springer sagt, eine modische
Nürnberger Frau, sondern einfach und passend eine vene-
zianische Courtisane, wie sie Dürer 1495, auf einem Blatt
in der Albertina, gezeichnet hat und wie sie, in Zu-
sammenstellung mit einer verächtlich auf sie blickenden
tugendsamen Bürgersfrau, auf einem Blatte im Städelschen
Institut wiederkehrt.

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