AUGUSTE RODIN, STRAND UND
woge : oae©«MQ(w«äca^^
AUGUSTE RODIN
I1IE bedenkliche Entwicklung des Po-
sitivismus, die so nachteilig auf die
Malerei wirkte, ist nicht minder für
die Skulptur zu Schaden geworden.
Die Bildhauerei war ihrer Körper-
lichkeit wegen nur allzu geneigt,
sein Dogma anzuerkennen und
machte sich so zur Mithelferin, ja
zur Sklavin; denn ein Wiederbild des
Menschen zu geben, ist für sie
völlig genügender Endzweck geworden. Das Uebel, an dem
die moderne Bildhauerkunst krankt, tritt in Frankreich mit
besonderer Deutlichkeit zu Tage. Der auffallende Mangel
an Erfindung gibt den Marmorwerken, Bronzen und Gips-
abgüssen, die jedes Frühjahr im Salon auftauchen, keinen An-
spruch auf dauernde Bedeutung; ihre Anzahl und die schein-
bare Vollendung der Technik erwecken einen Augenblick
vielleicht die Illusion, als hätten wir eine Kunst in vollster
Blüte, aber man würde sich sehr täuschen, wollte man die
beinahe verletzende Verleugnung alles Gedanklichen und
die thatsächliche Unfähigkeit, Neues zu gestalten, erkennen.
Diese Gedankenarmut verrät sich wie immer durch offen-
kundigste Anleihen bei der Vergangenheit; 'findet man
zufällig einmal eine glücklichere Stellung, so stört der
nichtssagende Gesichtsausdruck, der sich mit dieser nicht
verträgt; im allgemeinen aber findet man überhaupt keine
Physiognomie und nichts wirkt jämmerlicher, als diese toten
Gesichter.
„En gagnant le poli" sagt Ruskin, „les sculpteurs ont
perdu la pensee." Uebrigens hüte man sich ja, das Geheim-
nis dieser „technischen Vollendung" ergründen zu wollen;
die kleinen Mittelchen, denen man sie verdankt, würden nur
zu bald zum Vorschein kommen. Der Schädigung, die die
Malerei durch Zuhilfenahme der Photographie erlitten hat,
entspricht andererseits der Mifskredit, in den sich die Bild-
hauerei durch ihr äufserliches Abformen der Natur gebracht
hat, sowie durch die Nichtbeteiligung des Schöpfers an der
eigentlichen Vollendung seines Werkes.
Daher hat es auch den Anschein, als ob die meisten
Marmorwerke, die man auf Ausstellungen sieht, aus einem
einzigen Atelier hervorgegangen wären und dieses Atelier
ein italienisches sei.
Legt eine Kunstrichtung jedoch auf Erfindung und Aus-
führung so geringes Gewicht, so ergiebt sich die Notwendig-
keit einer Regeneration wie von selbst und man verlangt
nach einem Meister, der da fähig wäre, eine neue Seele zu
schaffen und die Form zu zwingen, anstatt ihr nur zu
gehorchen. Es wird Auguste Rodins Ruhm sein, diese Kraft
gehabt und Werke geschaffen zu haben, ebenso gedanken-
reich wie schön.
C 191 D
woge : oae©«MQ(w«äca^^
AUGUSTE RODIN
I1IE bedenkliche Entwicklung des Po-
sitivismus, die so nachteilig auf die
Malerei wirkte, ist nicht minder für
die Skulptur zu Schaden geworden.
Die Bildhauerei war ihrer Körper-
lichkeit wegen nur allzu geneigt,
sein Dogma anzuerkennen und
machte sich so zur Mithelferin, ja
zur Sklavin; denn ein Wiederbild des
Menschen zu geben, ist für sie
völlig genügender Endzweck geworden. Das Uebel, an dem
die moderne Bildhauerkunst krankt, tritt in Frankreich mit
besonderer Deutlichkeit zu Tage. Der auffallende Mangel
an Erfindung gibt den Marmorwerken, Bronzen und Gips-
abgüssen, die jedes Frühjahr im Salon auftauchen, keinen An-
spruch auf dauernde Bedeutung; ihre Anzahl und die schein-
bare Vollendung der Technik erwecken einen Augenblick
vielleicht die Illusion, als hätten wir eine Kunst in vollster
Blüte, aber man würde sich sehr täuschen, wollte man die
beinahe verletzende Verleugnung alles Gedanklichen und
die thatsächliche Unfähigkeit, Neues zu gestalten, erkennen.
Diese Gedankenarmut verrät sich wie immer durch offen-
kundigste Anleihen bei der Vergangenheit; 'findet man
zufällig einmal eine glücklichere Stellung, so stört der
nichtssagende Gesichtsausdruck, der sich mit dieser nicht
verträgt; im allgemeinen aber findet man überhaupt keine
Physiognomie und nichts wirkt jämmerlicher, als diese toten
Gesichter.
„En gagnant le poli" sagt Ruskin, „les sculpteurs ont
perdu la pensee." Uebrigens hüte man sich ja, das Geheim-
nis dieser „technischen Vollendung" ergründen zu wollen;
die kleinen Mittelchen, denen man sie verdankt, würden nur
zu bald zum Vorschein kommen. Der Schädigung, die die
Malerei durch Zuhilfenahme der Photographie erlitten hat,
entspricht andererseits der Mifskredit, in den sich die Bild-
hauerei durch ihr äufserliches Abformen der Natur gebracht
hat, sowie durch die Nichtbeteiligung des Schöpfers an der
eigentlichen Vollendung seines Werkes.
Daher hat es auch den Anschein, als ob die meisten
Marmorwerke, die man auf Ausstellungen sieht, aus einem
einzigen Atelier hervorgegangen wären und dieses Atelier
ein italienisches sei.
Legt eine Kunstrichtung jedoch auf Erfindung und Aus-
führung so geringes Gewicht, so ergiebt sich die Notwendig-
keit einer Regeneration wie von selbst und man verlangt
nach einem Meister, der da fähig wäre, eine neue Seele zu
schaffen und die Form zu zwingen, anstatt ihr nur zu
gehorchen. Es wird Auguste Rodins Ruhm sein, diese Kraft
gehabt und Werke geschaffen zu haben, ebenso gedanken-
reich wie schön.
C 191 D