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SONNENOPFER

VON

STANISLAW PRZYBYSZEWSKI

Die Du mir mit lichttrunkenen Fingern
die Schönheit welkender Herbsttrauer, den
müden Glanz lustsatter Pracht, die fiebern-
den Farben sonnenzerfressener Paradiese in
meine schweren Träume verwebst —
Geliebte —

viele Monde sind gegangen, seit ich Dich
gesehen, aber noch immer glänzt mein Herz über
den Sternen, die Du in mein Leben gesät, noch
immer wachsen aus meinem Blut Hände, ringend,
flehend nach dem Glück, das Du mir einst ent-
facht.

Die Du mir im Dämmerungsdunkel mit leisen
Händen auf verwunschenen Harfen ein irres Ge-
webe nie geahnter Melodien spinnst: von seligen
Stunden, die wie ein fernes Echo verwehen, von
Sonnen, die versinkend ihre schlaftrunkene Glut
über die Meere giefsen, von Nächten, die mit
weichen Flügeln das kranke Herz umfangen —
Geliebte —

viele Monde sind gegangen, seit Du mir meine
tiefste Trauer und mein schwerstes Glück gesungen,
aber noch immer seh' ich im Dämmerungsdunkel
deine Augen im weltfremden Schmerze thränen,
und eine leuchtende Hand seh' ich, die sich
gespenstisch aus dem Dunkel zu mir herüber-
schiebt und im flackernden Verzweiflungsschrei
die meine umspannt.

Die Du mir den Tag zur Nacht umwandelst,
in dunklen Gründen mein Licht verlöschest, alle
Weiten mir nahe rückst und alle Nähen in unend-
liche Fernen breitest — die Du mir im Herzen
trübe Irrlichter entflammst und schwarze Traum-
blüten züchtest —

Geliebte —

viele Monde sind gegangen, seit Dein letzter
Blick in mein Blut sich schmerzlich wühlte, und
immer seh' ich Dein mondlichtblasses Gesicht, die
goldne Krone von seidnen Haaren um Deine
Stirn, und in das kranke Lächeln seh' ich zwei
Thränen schwer und langsam unter den langen
Wimpern fliefsen, und Deine Stimme hör' ich, wie
sie mir ins Herz ihr düsteres Leid blutet.

Die Du mir die Siegel aller Heimlichkeiten
erbrichst und mir die heiligen Runen verborgener
Kräfte deutest, und nach allen Stürmen des Lebens
Dich immer von neuem wie ein Regenbogen von
einem Himmel der Gnade zum anderen über
meinem Gramgeschick entspannst —

Geliebte —

nie noch sah ich meine Sterne in so wilden
Stürmen über den Himmel schiessen, nie noch
hat meine Seele ihre Flügel weiter nach Dir ent-
schwungen, nie haben meine Arme sich schmerzlicher
nach Dir gebreitet, nie noch sah ich die Glorie,
die meine Sehnsucht um Dein Haupt entfacht, so

(I 219 b

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