in lauter kleine hochstrebende Formen erreicht wird, über-
haupt nicht durch plastische Gliederung, sondern gerade durch
Betonung der Masse und durch Farbe.
Romantisch ist vor allem der Ueberflufs an Fenstern in
der Facade, die dabei doch nicht genug und kein gutes Licht
geben, und der lästige, thörichte Ueberflufs an Thüren im
Innern, die die Zimmer unbewohnbar machen. Dem Schein
von Vornehmheit, Gröfse und Würde wird das Wohlbehagen
des täglichen Lebens ohne Bedenken preisgegeben.
Wie würden unsereMonumentalbauten und unsere Wohn-
häuser aussehen, wenn sie nicht aus unklarem, romantischem
Gefühl, sondern aus praktischer Ausgestaltung des Bedürf-
nisses entständen wie der Bazar Wertheim ?
Künstler und Laien werden künftig an diesem Gebäude
ihre Studien machen.
Die Architekten werden daran lernen, dafs weder die
akademische noch die romantische Gleichgiltigkeit gegen das
Bedürfnis eine Zukunft haben. Die Zwangsjacke der Facade
ist hier für die Praxis zum erstenmal vollkommen abgestreift.
Auch der Staatsbau wird nicht mehr umhin können, mit
den an diesem Organismus gewonnenen Daten zu rechnen.
Für die Mitarbeit des Bildhauers hat der Bazar Wertheim
eine neue Bahn eröffnet. Es mag zugegeben werden, dafs
seine Ornamentik noch historisch ist, und dafs Bildhauer
und Maler noch nicht so schöpferisch haben auftreten können
wie der Architekt. Aber man kann nicht alles auf einmal
erwarten. Für die Durchbildung einer neuen Ornamentik
war die Bauzeit zu kurz. Messel hat recht gehandelt, wenn
er sich auf Experimente nicht einliefs. Immerhin hat er
überall tüchtige Künstler herangezogen und ihnen freie Hand
gelassen. Er hat darin einen Takt bewiesen, der eigentlich
nicht die Regel ist. Denn unsere Architekten stehen der
lebendigen Malerei und Plastik im ganzen ziemlich fern, und
wenn es auch nur selten einer zugesteht, ihre Werke pflegen
laut und öffentlich gegen sie zu zeugen. Wie viele deutsche
Bauten giebt es, deren Skulptur erträglich ist, und deren
Ausmalung nicht dem Geschmack ins Gesicht schlägt? Eine
der einflüfsreichsten deutschen Architekturschulen, die von
Hannover, ist an einem Ort ohne originelle Malerei und
Plastik von technischen Begabungen entwickelt worden, die
von der hohen Kunst nur die archaistischen, um nicht zu
sagen heraldischen Strömungen kannten. Auf der anderen
Seite pflegt ja unsern Malern und Bildhauern jede Fähigkeit,
die einfachsten architektonischen Gedanken zu denken, voll-
standig abzugehen. Wie hilflos sind unsere Bildhauer durch-
weg, wenn sie einen Sockel zu machen haben. Auch ihnen
wird die neue Architektur, die im Werden ist, neue Auf-
gaben stellen, die sie auf dekorativem Gebiet von der
Schablone befreit.
Befreiung! Das ist auch das Gefühl, mit dem ein Laie
vor der grofsartigen Facade, die ihm mehr imponiert als
hundert Staatsbauten, den Kopf in den Nacken zwingt; ein
Hauch freier Schöpferkraft umweht ihn, wenn er prüfend
und staunend durch den geräumigen Windfang tritt und die
Säle und Hallen durchwandelt, wo alles so praktisch ein-
gerichtet ist und die Kunst die Erfüllung der Aufgabe nirgend
zu umgehen versucht. Die Tendenz, solches auch in seinem
Hause und im Staatsgebäude unbedingt zu verlangen, wird
durch dieses Beispiel in ihm erstarken.
Kenner werden nun vielleicht noch auf Vorbilder in
Frankreich, wo die grofsen Bazare längst bestehen, auf Eng-
land und Amerika hinweisen. Gewifs ist der geschäftliche
Gedanke des universellen Kaufhauses, dessen Entstehung
Zolas Roman weiten Kreisen anschaulich gemacht hat, über
Paris nach Berlin gelangt, und es lassen sich vielleicht in
Messeis Bau einige den fremden Vorgängern ähnliche Züge
nachweisen; die Entwicklung des Berliner Kaufhauses gehört
aber doch dem Berliner Boden an. Der Gotiker, der die
Ecjuitable mit Renaissance-Formen bekleidete, hatte das letzte
Wort nicht gesprochen. Messel, der von der Renaissance
ausging und die Gotik assimilierte, hat die Formel gefunden,
der die Thore in das neue Gebiet sich öffnen. Mir scheint,
dafs dieser Abschlufs in Berlin ohne französische, englische
und amerikanische Einflüsse sich logisch aus den Praemissen
ergeben mufste.
Alfred Lichtwark
(Aus dem als Manuskript gedruckten Jahrbuch Hamburgi-
scher Kunstfreunde).
C 234 b
haupt nicht durch plastische Gliederung, sondern gerade durch
Betonung der Masse und durch Farbe.
Romantisch ist vor allem der Ueberflufs an Fenstern in
der Facade, die dabei doch nicht genug und kein gutes Licht
geben, und der lästige, thörichte Ueberflufs an Thüren im
Innern, die die Zimmer unbewohnbar machen. Dem Schein
von Vornehmheit, Gröfse und Würde wird das Wohlbehagen
des täglichen Lebens ohne Bedenken preisgegeben.
Wie würden unsereMonumentalbauten und unsere Wohn-
häuser aussehen, wenn sie nicht aus unklarem, romantischem
Gefühl, sondern aus praktischer Ausgestaltung des Bedürf-
nisses entständen wie der Bazar Wertheim ?
Künstler und Laien werden künftig an diesem Gebäude
ihre Studien machen.
Die Architekten werden daran lernen, dafs weder die
akademische noch die romantische Gleichgiltigkeit gegen das
Bedürfnis eine Zukunft haben. Die Zwangsjacke der Facade
ist hier für die Praxis zum erstenmal vollkommen abgestreift.
Auch der Staatsbau wird nicht mehr umhin können, mit
den an diesem Organismus gewonnenen Daten zu rechnen.
Für die Mitarbeit des Bildhauers hat der Bazar Wertheim
eine neue Bahn eröffnet. Es mag zugegeben werden, dafs
seine Ornamentik noch historisch ist, und dafs Bildhauer
und Maler noch nicht so schöpferisch haben auftreten können
wie der Architekt. Aber man kann nicht alles auf einmal
erwarten. Für die Durchbildung einer neuen Ornamentik
war die Bauzeit zu kurz. Messel hat recht gehandelt, wenn
er sich auf Experimente nicht einliefs. Immerhin hat er
überall tüchtige Künstler herangezogen und ihnen freie Hand
gelassen. Er hat darin einen Takt bewiesen, der eigentlich
nicht die Regel ist. Denn unsere Architekten stehen der
lebendigen Malerei und Plastik im ganzen ziemlich fern, und
wenn es auch nur selten einer zugesteht, ihre Werke pflegen
laut und öffentlich gegen sie zu zeugen. Wie viele deutsche
Bauten giebt es, deren Skulptur erträglich ist, und deren
Ausmalung nicht dem Geschmack ins Gesicht schlägt? Eine
der einflüfsreichsten deutschen Architekturschulen, die von
Hannover, ist an einem Ort ohne originelle Malerei und
Plastik von technischen Begabungen entwickelt worden, die
von der hohen Kunst nur die archaistischen, um nicht zu
sagen heraldischen Strömungen kannten. Auf der anderen
Seite pflegt ja unsern Malern und Bildhauern jede Fähigkeit,
die einfachsten architektonischen Gedanken zu denken, voll-
standig abzugehen. Wie hilflos sind unsere Bildhauer durch-
weg, wenn sie einen Sockel zu machen haben. Auch ihnen
wird die neue Architektur, die im Werden ist, neue Auf-
gaben stellen, die sie auf dekorativem Gebiet von der
Schablone befreit.
Befreiung! Das ist auch das Gefühl, mit dem ein Laie
vor der grofsartigen Facade, die ihm mehr imponiert als
hundert Staatsbauten, den Kopf in den Nacken zwingt; ein
Hauch freier Schöpferkraft umweht ihn, wenn er prüfend
und staunend durch den geräumigen Windfang tritt und die
Säle und Hallen durchwandelt, wo alles so praktisch ein-
gerichtet ist und die Kunst die Erfüllung der Aufgabe nirgend
zu umgehen versucht. Die Tendenz, solches auch in seinem
Hause und im Staatsgebäude unbedingt zu verlangen, wird
durch dieses Beispiel in ihm erstarken.
Kenner werden nun vielleicht noch auf Vorbilder in
Frankreich, wo die grofsen Bazare längst bestehen, auf Eng-
land und Amerika hinweisen. Gewifs ist der geschäftliche
Gedanke des universellen Kaufhauses, dessen Entstehung
Zolas Roman weiten Kreisen anschaulich gemacht hat, über
Paris nach Berlin gelangt, und es lassen sich vielleicht in
Messeis Bau einige den fremden Vorgängern ähnliche Züge
nachweisen; die Entwicklung des Berliner Kaufhauses gehört
aber doch dem Berliner Boden an. Der Gotiker, der die
Ecjuitable mit Renaissance-Formen bekleidete, hatte das letzte
Wort nicht gesprochen. Messel, der von der Renaissance
ausging und die Gotik assimilierte, hat die Formel gefunden,
der die Thore in das neue Gebiet sich öffnen. Mir scheint,
dafs dieser Abschlufs in Berlin ohne französische, englische
und amerikanische Einflüsse sich logisch aus den Praemissen
ergeben mufste.
Alfred Lichtwark
(Aus dem als Manuskript gedruckten Jahrbuch Hamburgi-
scher Kunstfreunde).
C 234 b