II. DIE CRONBERGER MALERKOLONIE.
Um Bürger völlig kennen zu lernen genügt es nicht, sich
seine Persönlichkeit allein zu vergegenwärtigen. Er ist durch
die Anregung, die von ihm ausging, der Mittelpunkt eines ge-
selligen Kreises geworden, der sich in mehr oder minder naher
persönlicher Beziehung um ihn her geschlossen hat und auch
von hier aus will sein Lebenswerk angeschaut sein. Diesen
Kreis der sogenannten Cronberger Malerkolonie bildeten und
bilden noch heute eine Menge von Schülern Burgers, ihm
gehören aber auch einige ungefähr gleichaltrige gesinnungsver-
wandte Genossen an, die ihm in früheren Jahren von Frankfurt
nach Cronberg gefolgt sind. Die Mehrzahl von diesen letzten
weilt heute nicht mehr unter den Lebenden. Als die origi-
nellste Erscheinung ragt aus diesem Kreise Jakob Fürchte-
gott Dielmann hervor. Seinem künstlerischen Bildungs-
gange nach gehört Dielmann der älteren Düsseldorfer Schule
an, wenigstens ist er in dieser zum Künstler gereift; von Ge-
burt ist er jedoch ein Frankfurter, sogar, was von einigen
noch höher geschätzt wird, ein Sachsenhäuser. In Frankfurt
oder in dessen Umgebung hat er auch seit der Mitte der
vierziger Jahre seinen ständigen Wohnsitz gehabt, er siedelte
dorthin von Düsseldorf über ungefähr gleichzeitig mit einigen
anderen namhaften Künstlern wie Pose, Andreas Achenbach
und Jakob Becker. Diese Einwanderung vom Niederreihn
führte im künstlerischen Leben der Stadt, dessen Gepräge bis
dahin vorwiegend von den Nazarenern bestimmt wurde, zu
einer Krise, wie sie hier vor- und nachher nicht wieder zu
verzeichnen gewesen ist. Vor allem die Berufung Jakob
Beckers, des bekannten Darstellers ländlicher Scenen, zum
Leiter der Malschule des Städelschen Kunstinstuts und die
steigende Wertschätzung des ihm verwandten Historienmalers
Conrad Friedrich Lessing führte zu einer nicht ohne Leiden-
schaft geführten Auseinandersetzung zwischen den Nazarenern
einer- und den Düsseldorfern anderseits, deren Ergebnis war,
dafs diese letzten in Frankfurt festen Fufs fafsten. Mit der
Geschichte dieser bedeutenden Wandlungen ist auch Diel-
manns Name verbunden.
Seine Werke sind nicht eben zahlreich; er gehörte zu
jener Art von Künstlern, die sich nur selten entschliefsen
können, ihre Sachen fertig zu machen und so ist eben auch
wirklich nicht viel von ihm fertig geworden. Sein Stil ist
leicht gekennzeichnet. Wer mit Burgers Art vertraut ist, ver-
mag sich auch von der inhaltlich und technisch eng verwandten
Malerei Dielmanns ein zutreffendes Bild zu machen. Dies
Verhältnis beruht auf einem ganz eigenartigen geistigen Aus-
tausch, der zwischen ihm und dem um volle fünfzehn Jahre
jüngeren Burger Jahrzehnte hindurch stattgefunden hat. Diel-
mann war ein feiner, theoretisch veranlagter Kopf und Burger
bekennt, dafs er ihm von dieser Seite her manche Anregung
zu verdanken gehabt hat, aber der eigentlich produktiv be-
anlagte und thätige Genius war Burger. Er bildete darin die
natürliche Ergänzung des älteren Freundes, und dieser selbst
erkannte dies in praxi an, indem er, ohnehin gewohnt, sich
gehen zu lassen, sich mit dem jüngeren mehr und mehr iden-
tifizierte. Er nahm sogar dessen gute Dienste in Anspruch, um
sich von ihm seine Bilder vollenden zu lassen und als Burger
auf und davon ging, um in Cronberg Hütten zu bauen, folgte
er ihm auf dem Fufse nach. Die selbständige Begabung Diel-
manns soll übrigens mit alledem nicht in Zweifel gezogen
werden; in mannigfachen Studien und Entwürfen seiner
Hand kommt sie zu sprechendem Ausdruck. Berühmt sind
unter den oberhessischen Motiven, die er, hierin Jakob Becker
folgend, gerne behandelte, seine Kinderscenen durch die naive
Anmut der Schilderung, die manchmal, obschon unbewufst,
an Ludwig Richter streift.
Die Zahl der Namen, die sich diesem Zusammenhange
im engeren oder weiteren Sinne einfügen, liefse sich beträcht-
lich vermehren, erschiene es nicht angezeigt, hier nur von
solchen Künstlern zu reden, von denen wir zugleich in der
Lage sind, eine Probe ihrer Kunst in Abbildung beizufügen.
Wir müssen deshalb einen Philipp Rumpf, Maurer,
Drefsler u. a. übergehen, doch sei hier noch des Land-
schaftsmalers Dr. Peter Burnitz als eines besonders an-
ziehenden und eigenartigen Künstlers gedacht. Von Burnitz
ist wohl noch seltener als von Burger und Dielmann aufser-
halb Frankfurts die Rede; auch er gehört zu denen, welchen
recht eigentlich gegen ihr Verdienst das „bene qui latuit,
bene vixit" zur Devise ihres Lebens und ihrer künstlerischen
Thätigkeit geworden ist. Burnitz ist neben Burger und Diel-
mann entschieden die selbständigste Erscheinung des engeren
Cronberger Kreises. Der Wille des Vaters und häusliche
Ueberlieferung hatten ihn für die juristische Laufbahn be-
stimmt, doch wurde er sich seines eigentlichen Berufes noch
zeitig genug bewufst, um sich ihm in jungen und rüstigen
Jahren zuwenden zu können. Eine spanische Studienreise
im Jahre 1848 führte diese Entscheidung in ihm herbei; be-
stimmend wirkte auf seine weitere Entwicklung ein längerer
Aufenthalt in Paris, der ihn im Kreise der Schule von Fon-
tainebleau heimisch werden liefs. Den Künstlern, welche
diese Genossenschaft bildeten, schlofs er sich aufs engste an,
ja er wurde ihr Schüler und arbeitete mit ihnen als einer der
ihrigen; erst nach Verlauf von zehn Jahren kehrte er in seine
Heimat zurück. Die Studie aus St. Andre, deren Abbildung
unser Text enthält (S. 244), ist bezeichnend für diese seineLehr-
zeit. Er hat den Einflufs der Männer von Barbizon auch
später, nachdem er seinen dauernden Sommersitz in Cronberg
J. F. DIEI.MANN , HESSEN'MADCHEN ac^»Q^<^^^^X?<!^C<i<^G'^<^^«^(?(^iG<W(^S<^<^IW«X^^<^C(?^5<W«M>^
C 242 D
Um Bürger völlig kennen zu lernen genügt es nicht, sich
seine Persönlichkeit allein zu vergegenwärtigen. Er ist durch
die Anregung, die von ihm ausging, der Mittelpunkt eines ge-
selligen Kreises geworden, der sich in mehr oder minder naher
persönlicher Beziehung um ihn her geschlossen hat und auch
von hier aus will sein Lebenswerk angeschaut sein. Diesen
Kreis der sogenannten Cronberger Malerkolonie bildeten und
bilden noch heute eine Menge von Schülern Burgers, ihm
gehören aber auch einige ungefähr gleichaltrige gesinnungsver-
wandte Genossen an, die ihm in früheren Jahren von Frankfurt
nach Cronberg gefolgt sind. Die Mehrzahl von diesen letzten
weilt heute nicht mehr unter den Lebenden. Als die origi-
nellste Erscheinung ragt aus diesem Kreise Jakob Fürchte-
gott Dielmann hervor. Seinem künstlerischen Bildungs-
gange nach gehört Dielmann der älteren Düsseldorfer Schule
an, wenigstens ist er in dieser zum Künstler gereift; von Ge-
burt ist er jedoch ein Frankfurter, sogar, was von einigen
noch höher geschätzt wird, ein Sachsenhäuser. In Frankfurt
oder in dessen Umgebung hat er auch seit der Mitte der
vierziger Jahre seinen ständigen Wohnsitz gehabt, er siedelte
dorthin von Düsseldorf über ungefähr gleichzeitig mit einigen
anderen namhaften Künstlern wie Pose, Andreas Achenbach
und Jakob Becker. Diese Einwanderung vom Niederreihn
führte im künstlerischen Leben der Stadt, dessen Gepräge bis
dahin vorwiegend von den Nazarenern bestimmt wurde, zu
einer Krise, wie sie hier vor- und nachher nicht wieder zu
verzeichnen gewesen ist. Vor allem die Berufung Jakob
Beckers, des bekannten Darstellers ländlicher Scenen, zum
Leiter der Malschule des Städelschen Kunstinstuts und die
steigende Wertschätzung des ihm verwandten Historienmalers
Conrad Friedrich Lessing führte zu einer nicht ohne Leiden-
schaft geführten Auseinandersetzung zwischen den Nazarenern
einer- und den Düsseldorfern anderseits, deren Ergebnis war,
dafs diese letzten in Frankfurt festen Fufs fafsten. Mit der
Geschichte dieser bedeutenden Wandlungen ist auch Diel-
manns Name verbunden.
Seine Werke sind nicht eben zahlreich; er gehörte zu
jener Art von Künstlern, die sich nur selten entschliefsen
können, ihre Sachen fertig zu machen und so ist eben auch
wirklich nicht viel von ihm fertig geworden. Sein Stil ist
leicht gekennzeichnet. Wer mit Burgers Art vertraut ist, ver-
mag sich auch von der inhaltlich und technisch eng verwandten
Malerei Dielmanns ein zutreffendes Bild zu machen. Dies
Verhältnis beruht auf einem ganz eigenartigen geistigen Aus-
tausch, der zwischen ihm und dem um volle fünfzehn Jahre
jüngeren Burger Jahrzehnte hindurch stattgefunden hat. Diel-
mann war ein feiner, theoretisch veranlagter Kopf und Burger
bekennt, dafs er ihm von dieser Seite her manche Anregung
zu verdanken gehabt hat, aber der eigentlich produktiv be-
anlagte und thätige Genius war Burger. Er bildete darin die
natürliche Ergänzung des älteren Freundes, und dieser selbst
erkannte dies in praxi an, indem er, ohnehin gewohnt, sich
gehen zu lassen, sich mit dem jüngeren mehr und mehr iden-
tifizierte. Er nahm sogar dessen gute Dienste in Anspruch, um
sich von ihm seine Bilder vollenden zu lassen und als Burger
auf und davon ging, um in Cronberg Hütten zu bauen, folgte
er ihm auf dem Fufse nach. Die selbständige Begabung Diel-
manns soll übrigens mit alledem nicht in Zweifel gezogen
werden; in mannigfachen Studien und Entwürfen seiner
Hand kommt sie zu sprechendem Ausdruck. Berühmt sind
unter den oberhessischen Motiven, die er, hierin Jakob Becker
folgend, gerne behandelte, seine Kinderscenen durch die naive
Anmut der Schilderung, die manchmal, obschon unbewufst,
an Ludwig Richter streift.
Die Zahl der Namen, die sich diesem Zusammenhange
im engeren oder weiteren Sinne einfügen, liefse sich beträcht-
lich vermehren, erschiene es nicht angezeigt, hier nur von
solchen Künstlern zu reden, von denen wir zugleich in der
Lage sind, eine Probe ihrer Kunst in Abbildung beizufügen.
Wir müssen deshalb einen Philipp Rumpf, Maurer,
Drefsler u. a. übergehen, doch sei hier noch des Land-
schaftsmalers Dr. Peter Burnitz als eines besonders an-
ziehenden und eigenartigen Künstlers gedacht. Von Burnitz
ist wohl noch seltener als von Burger und Dielmann aufser-
halb Frankfurts die Rede; auch er gehört zu denen, welchen
recht eigentlich gegen ihr Verdienst das „bene qui latuit,
bene vixit" zur Devise ihres Lebens und ihrer künstlerischen
Thätigkeit geworden ist. Burnitz ist neben Burger und Diel-
mann entschieden die selbständigste Erscheinung des engeren
Cronberger Kreises. Der Wille des Vaters und häusliche
Ueberlieferung hatten ihn für die juristische Laufbahn be-
stimmt, doch wurde er sich seines eigentlichen Berufes noch
zeitig genug bewufst, um sich ihm in jungen und rüstigen
Jahren zuwenden zu können. Eine spanische Studienreise
im Jahre 1848 führte diese Entscheidung in ihm herbei; be-
stimmend wirkte auf seine weitere Entwicklung ein längerer
Aufenthalt in Paris, der ihn im Kreise der Schule von Fon-
tainebleau heimisch werden liefs. Den Künstlern, welche
diese Genossenschaft bildeten, schlofs er sich aufs engste an,
ja er wurde ihr Schüler und arbeitete mit ihnen als einer der
ihrigen; erst nach Verlauf von zehn Jahren kehrte er in seine
Heimat zurück. Die Studie aus St. Andre, deren Abbildung
unser Text enthält (S. 244), ist bezeichnend für diese seineLehr-
zeit. Er hat den Einflufs der Männer von Barbizon auch
später, nachdem er seinen dauernden Sommersitz in Cronberg
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