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tige Belastung ins Auge zu fassen und von unten nach oben
Streben zu führen, die verhindern, dafs das Stück vornüber-
fällt oder die aufgehängten Kleider in den meist engbegrenz-
ten Raum zu beiden Seiten hinausbauschen. Dieses Beispiel
scheint mir schlagend und geeignet, die Vermutung anzu-
regen, ob nicht in den Formen eines solchen Möbels eine Art
von ewigen Gesetzen zu entdecken wäre.

Ich rechne mir das keineswegs zu persönlichem Verdienst,
da ich mich ja nur der strengen Logik ergebe und dieser das
Ewige innewohnt! „Ab uno disce omnes." UndinderThat
ist es keines Rühmens wert, dafs man sich zwingt, sozu-
sagen mathematisch zu arbeiten. Stolzer könnte ich auf
folgenden gewifs individuelleren Grundsatz sein: systema-
tisch bei Möbeln alles zu vermeiden, was nicht durch die
Grofsindustrie verwirklicht werden könnte. Mein Ideal
wäre eine tausendfache Vervielfältigung meiner Schöpfungen,
allerdings unter strengster Ueberwachung; denn ich weifs
aus Erfahrung, wie schnell ein Vorbild bei der Vervielfälti-
gung verflacht und durch allerhand unehrliche oder verständ-
nislose Manipulationen ebenso gemein werden kann wie das,

wogegen es wirken soll. Auf einen durchschlagenden Ein-
flufs hoffe ich daher erst von dem Augenblick an, da ein
gröfserer Maschinenbetrieb mir ein Wirken gemäfs der
Maxime erlaubt, die meinem sozialen Glauben die Richtung
gewiesen hat: dafs nämlich ein Mensch umsomehr wert ist,
je zahlreicheren Menschen sein Lebenswerk Nutzen oder Ver-
edelung bringt.

Also durch den einfachen Vorsatz, streng logisch zu sein,
durch den ausnahmslos durchgeführten Grundsatz, jede Form
und jedes Ornament zu verwerfen, die ein moderner Maschinen-
betrieb nicht leicht herstellen und wiederholen kann, durch
die Klarlegung des wesentlichen Organismus jedes Möbels
und jedes Gegenstandes und durch die stete Sorge für dessen
leichte Brauchbarkeit gelangen wir dazu, das Aussehen der
Dinge vollständig zu erneuern. Gibt es irgend etwas, für das
man krampfhafter nach neuen Formen gesucht hat, als ein
Kleiderständer, ein Ausziehtisch oder ein Lehnstuhl? Und
doch beweisen die hier wiedergegebenen Zeichnungen dieser
Gegenstände, zu wie neuen Ergebnissen man bei Anwendung
von Mitteln oder Materialien gelangen kann, die so alt wie
die Welt sind. Denn ich mufs in der That zugeben, dafs die
Mittel, die ich anwende, dieselben sind wie die der ganz
frühen und volkstümlichen Epochen des Kunstgewerbes und
dafs ich nur, weil ich begreife oder bewundere, wie einfach
und logisch und schön der Bau eines Schiffes, eines Gerüstes,
eines Wagens oder eines Schubkarrens ist, befähigt bin, einigen
gesund gebliebenen Menschen zu Gefallen zu arbeiten, die
einsehen, dafs, was an mir fremdartig scheint aus der An-
wendung von unanfechtbaren und althergebrachten Grund-
sätzen hervorgegangen ist: aus einer Logik, die bedingungs-
los und ohne Zaudern dem Zwecke nachgeht; und aus einer
rückhaltlosen Offenheit in Bezug auf die angewandten Mit-
tel, die natürlich für jeden anderen Stoff andre sein müssen.
Nachdrücklich zeigen meine Möbel, dafs sie aus Holz
sind; mit Stolz und Freude lasse ich jede Fuge sehen und
suche nach neuen Weisen, Stück an Stück zu fügen. Ich
empfinde das als eine Art von Ehrlichkeit und als einen Pro-
test gegen den greisenhaften Geschmack, der keinen Unter-
schied mehr zwischen Holz und Metall oder Pappe fühlt.
Gegenwärtig scheint das Ideal zu sein, den Beschauer darüber
in Zweifel zu lassen, woraus ein Gegenstand gemacht, wie
er gearbeitet ist und wozu er dienen soll; und die höchste
Herrlichkeit ist erreicht, wenn man eine Schreinerarbeit für
ein Stück Gufsmetall halten könnte.

Ich weifs sehr gut, dafs man alles, was ich mache, aus-
rangieren wird, sobald ein Stoff entdeckt wird, der leicht zu
giefsen und besser für Möbel zu verwenden ist als Silber,
Gold und Bronze, wie sie die Sucht nach mafslosem Luxus
unter Ludwig XV. und Ludwig XVI. verwendet hat. Ich
neide aber nicht das Los meiner glücklicheren Kollegen, die
dann nur ihre alten Entwürfe vom Schreiner zum Giesser
tragen werden; denn mein Handwerkergewissen, das von
mir die Ehrfurcht vor dem verwendeten Stoff fordert, würde
mich nicht in Ruhe lassen. Ich glaube fest, dafs diese Ge-
wissenhaftigkeit gesund und fruchtbar ist, und ebenso, dafs
diese Kunstgrundsätze für alle Ewigkeit ihre Geltung behalten
werden. Sie sind ewig, weil sie auf alle Schöpfungen des
menschlichen Geistes anwendbar sind. Allerdings deuten sie
auch eine Grenze an, indem sie die Folgerung zulassen, dafs
es für jeden Gegenstand nur einen richtigen Umrifs, nur

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