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Sein Leib war wie ein Türkis, sein Antlitz sah wie ein Blitz, seine Augen
wie feurige Fackeln, seine Arme und Füfse wie hell, glatt Erz, und seine Rede
war wie ein grofs Getöne. — Ich, Daniel, aber sah solch Gesicht allein, und
die Männer, so bei mir waren, sahen's nicht; doch fiel ein grofs Schrecken über
sie, dafs sie flohen und sich verkrochen. Und ich blieb allein, und sah dies
grofs Gesicht. Es blieb aber keine Kraft in mir, und ich ward sehr entstellt,
und hatte keine Kraft mehr. Und ich hörte seine Rede; und indem ich sie
hörte, sank ich ohnmächtig auf mein Angesicht zur Erde." —

Mir kommen bei all dieser Lektüre mancherlei Gedanken und Betrach-
tungen, Gedanken und Betrachtungen, mit denen ich mich meinem goldenen
Freigeist dem Herrn Aktuarius Nerrlich nicht anvertrauen könnte, ohne be-
fürchten zu müssen, wegen einer bedenklich reaktionären Rechtsschwenkung
seiner mir so werten Freundschaft verlustig zu gehen. — Denn es sind nicht
nur diese ersten Kindheitserinnerungen, die da so in diesen Lesestunden mit
lebendig werden, auch nicht blos und lediglich so etwas wie Feinschmeckerei
und „historischer Standpunkt", wenngleich natürlicherweise das alles mit unter-
läuft: nein, es ist auch noch was Anderes, Intimeres, Lebendigeres und Lebendigstes
dabei. Denn das ist nun so: jedes gute und bedeutsame Buch hat seine ewig
frische und lebendige Wirkung und die bedeutendsten variieren ja nur immer
wieder den einen ewig gleichen Text. — So will mir z. B. auch keinerlei
rationalistische Exegese an die alten Sagen, Wundermärchen und Visionen heran.
Denn ein feinerer Sinn spürt das Wunder der Wunder hinter ihrer ehrwürdigen
Symbolik und staunt gerade aus einem modern differenzierten Verständnis der
Lebens- und Naturvorgänge heraus, das uns gerade wieder die Ergebnisse der
neuzeitigen Wissenschaften und nicht zum mindesten die „exakten" gebracht,
über die tiefe Weisheit vom Leben, die sich in jene Symbole verdichtet hat.

Ich komme von der Lektüre psychophysiologischer Bücher; man hat als
Mensch der Neuzeit zu allen geistigen Zuflüssen seine besonderen Nerven-
erfahrungen und weiter hat der ringende Geist Alterfahrenes und Frühvertrautes,
Eindrücke und Einflüsse erster und späterer Jugendzeit, die mit ihrem Ewig-
keitsgehalt, mit einem natürlichen Zwang innerer und äufserer Lebensbedingungen,
allen Anstürmen der materialistisch-kritischen Periode zum Trotz sich behauptet,
mit den neuen Ergebnissen vereinbart: wie eigen mutet einen da diese Lektüre
an! Und ihre Ehrwürdigkeit ist um so eindringlicher und fühlbarer, je tiefer
man spürt, wie die eine alte Wahrheit von Natur und Menschenleben immer
nur wieder und immer von neuem nur in Symbole hineingefafst werden kann ...

*

Ja, und diese Propheten also! — Es fällt einem so ein, was die alten
Kirchenlehrer von Erwählung, Berufung, Prädestination gelehrt, oder auch etwa
Plato von den Ideen, von der Anamnese; man gedenkt der Lehren der Veden
und des Buddhismus, oder was bei den Pythagoraeern als Metempsychose wieder
auftauchte, und wie diese in Uralterszeiten bereits von den Egyptern gelehrt
worden: man berücksichtigt etwa einen Zusammenhang von alledem, sieht sich

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