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AMBROSIUS FASSBENDER

E^R war Lehrer in Schrecksbach und gab mir
j Geigenstunden. Als ich das erste Mal zu ihm
kam — es war ein Januartag mit Frost und Schnee,
und die Finger froren mir an den gelben Messing-
bügel — stand er mitten im Zimmer bei rotglühen-
dem Ofen und weitaufgesperrten Fenstern. In
Hemd und Hose, auf Strümpfen. Das gelbe Haar
hing nafs über Stirn und Schlafen, wie wenn er
den Kopf ins Wasser gesteckt hätte. Seine Kinder
safsen in den Ecken herum und froren. Er hatte
einen Stuhl auf den Tisch gestellt und kritzelte
hastig in ein altes Heft, das oben darauf lag.

Als er mich sah — sein lahmer Ferdinand hatte
mich leise mit der Krücke angestofsen, und ich war
im Umdrehen mit dem Geigenkasten an den Tisch
geraten — schrie er mich an: wer ich wäre? Ich
solle mich zu dem andern Unrat in die Ecke
scheren. Was ich überhaupt wolle? Vielleicht
geigen bei ihm lernen? Als wenn einer geigen
lernen könne? Man müsse dazu geboren sein.
Ueberhaupt: Geigen sei eine Kunst. Und es wäre
schon viel zu viel davon in der Welt. Einer geige
den andern tot. Aber es wäre keine Natur drin.
„Siehst du, so!" Er rifs mir den Kasten aus der
Hand und die Geige heraus. „So!" Und ring an
zu kratzen wie ein Verrückter. Warf den langen
Oberkörper hin und her, dafs die Hose tiefer rutschte
und der Leib noch länger wurde. Die nassen Haare
schlugen wie Riemen ins Gesicht, und die Finger

liefen wie tolle Spinnen an dem Hals der Geige
hoch. Von meinem schönen Bogen rifs ein Haar
nach dem andern.

Es war gegen Abend. Hinter ihm durch das
kleine Fenster war der Winterhimmel blutrot.
Seine schwarze Gestalt davor. Und im Dunkeln
die hockenden Kinder. Ich bekam Angst trotz
meiner fünfzehn Jahre.

Mit einem harten Bogenstrich hielt er ein. „Aber
Natur", sagte er, und die Stimme war, wie wenn
er weinen wollte. „Siehst du, Natur!" Er fing
wieder an zu spielen, weich und still, den Ober-
körper leicht vornübergehängt, dafs die schlaffen
Haare über die Augen kamen. Die Töne schwebten
weither, nicht aus der Geige, aus einer fernen
Orgel. Es lebte etwas darin, das mit den Tönen
stärker wurde, das in meiner Brust ganz unten mit-
zitterte. Und als mitten in den Strom und Strudel
eine einfache süfse Melodie geflossen kam, hielt
ich mich nicht mehr. Ich griff nach dem Tisch-
pfosten und heulte laut. Alles um mich herum
verging für einen Augenblick in grofsem Wasser.
Dann beugte er sich über mich. Ein entsetzlicher
Schnapsgeruch kam in meinen Atem. Ich rifs mich
los und wollte zur Thür.

Er stand schon wieder wie in sich versunken,
die Geige in der Hand. Mit einem Ruck warf er
sie in den Kasten. Ich hörte einen scharfen Knacks.
Er achtete nicht darauf, fing an zu reden, immer

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