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Ich wollte ihm nachklettern, sprang an den
Stamm und glitt zurück. Ich stolperte unten und
fiel fast ins Wasser. Ich schrie und bettelte:

Er solle doch herunter kommen.

Er sah auf mich nieder wie auf seine Klasse,
zerquält und befriedigt. Dann richtete er sich auf,
das bleiche Gesicht verzerrt:

„Wilhelm, denk an deinen Lehrer. Lebwohl!"

Ich erwartete, dafs er jetzt hinunterspringen
würde. Das Moos unter meinen Füfsen fing an
zu sinken; ich mufste mich an dem Stamm fest-
halten. Aber er sprang nicht. Er starrte auf das
Wasser, hockte immer mehr ineinander, klammerte
sich fester an die Zweige.

„Wilhelm!" Er wollte wieder etwas sagen.
Ein scharfer Krach kam dazwischen. Der morsche
Stumpf brach mitten durch. Der Stamm zitterte
in meinen Händen. „Wilhelm!" hörte ich schreien.
Dann hing er vor mir, bis zu den Knieen im
Wasser, an einer einzigen Rute. „Wilhelm!" Er
schrie entsetzlich. „Wilhelm! hilf! hilf!"

Ich sprang vor bis an den Rand. Reckte mich
weit hinüber. Ich konnte ihn nicht fassen.

„Wilhelm!" rief er noch einmal. Dann brach
der Zweig, und er sank in den schwarzen Schlamm.
Er kam wieder hoch, umgekehrt und weiter in den
Teich hinein. Unter dem Wasser mufste er sich
um sich selbst gedreht haben. Er wollte schreien,
sank aber gleich wieder unter. Ich lief zur Seite,

ihm nach. Ich schrie. Er kam wieder hoch, griff"
erst mit den Armen in die Luft, schlug dann ins
Wasser, wie um Schwimmbewegungen zu machen,
schrie gurgelnd um Hilfe und sank wieder unter.
Und kam noch einmal und sank wieder. Und dann
nicht mehr.

Vor mir war das aufgewühlte schmutzige Wasser.
Die Schlammwellen klatschten an meinen Stiefeln
hoch und fielen schwer zurück.

Auf einmal war alles um mich still. Ich dachte,
ich würde wie wahnsinnig ins Dorf rennen. Ich
ging ganz langsam. In meinem Kopf war ein end-
loses Klingen. Als ich an der Brücke war, wollte
ich noch einmal zurück. Ich that es nicht. An
der Scheune begegnete mir der erste Mensch. Da
war auf einmal alles in mir wie zerbrochen. Der
Lehrer im Wasser! wollte ich sagen, brachte aber
nichts hervor als Schreien und Schluchzen. Ich
lag auf der Erde und schlug mit Händen und Füfsen
in den Schmutz.

Nachher war ich zwischen vielen Menschen
und rannte mit, um ihn zu holen. Wir fanden ihn
an dem Tag nicht mehr. Erst am andern Morgen.
Da kamen sie auch vom Gericht. Ich wurde hin
und her gefragt. Ich sagte nur immer, dafs es ein
Unglück gewesen wäre.

Dann wurde ich von meinem Vater in die Stadt
gethan. Und die schwere Zeit fing an, die seine
That in mein Leben legte.

Wilhelm Schaefer

$

Es ging ein Mann durch Nacht und Sterne.

Er ging in morgenrote Ferne.

Er trug eine Sichel. Die Sichel schnitt.

Er brachte viel goldene Garben mit.

Die Aehren hingen. Das Korn fiel aus.

Es wurden weitwogende Felder draus.

Wilhelm Schaefer

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