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gekommen. Vielleicht geben die reizenden Bildchen uns
Nachricht von einem frühverstorbenen Kinde der Böcklin-
schen Muse, das wieder verschwand, weil es nicht lebens-
kräftig genug war, sein Dasein zu erkämpfen.

In den Entwürfen zur Cholera aber sieht man eine von
Böcklins gewaltigsten Visionen in Erscheinung treten. Der
Gesamtentwurf auf beiliegender Tafel und die Einzelstudien
erklären sich gegenseitig. Schon bevor der Künstler zum
Pinsel greift, um eine der Skizzen hinzuwerfen, schwebte ihm
vor als Personifikation der verderblichen Ansteckung und
des rasch folgenden Endes: Der Tod, der mit der Sense auf
pestschnaubendem Ungetüm über die Erde saust, wo sich
Menschen in einem Knäuel wälzen und vereinzelt krampfhaft
verbogene Arme zum Himmel strecken. Man sieht auch,
dafs ihm die wirkungsvollen Accente der Silhouette gegen-
wärtig waren, bevor er sich über die einzelnen Formen klar
war. Die beiden Entwürfe zu dem unteren Teil geben ver-
schiedene Endigungen des Rüssels und zeigen ferner, wie die
chaotische Masse sich allmählich zu Gestalten verdichtet.
Die Skizze auf Seite 46 scheint die frühste der erhaltenen und
eine Studie zu einem früheren Gesamtentwurf zu sein. Der
Kopf des Ungetüms verrät das Unheil noch nicht deutlich
genug, auch stimmt das unheimlich Schleichende dieses Fisch-
gesichtes nicht recht zu dem pathetischen Zuge im oberen
Teile der Gesamtkomposition, wie sie auf der Tafel zu sehen
ist, auch findet sich hier noch eine Greisengestalt, die in den
beiden anderen Entwürfen weggefallen ist. Im Gesamtent-
wurf schwankt noch die Gestalt des Rüssels, aber jetzt haben
die Sterbenden festere Gestalt angenommen. Vor den Jüng-

ling, der auf dem Rücken liegt, ist eine weitere Gestalt ge-
kommen, die zum Teil dessen Bewegungen angenommen hat.
Die zweite Einzelstudie zum Vordergrund giebt dann diese
Lösung deutlicher und namentlich in der Silhouette wirkungs-
voller, und die Form, die jetzt der Kopf des Ungeheuers an-
genommen, verkündet dessen Tod und Verderben speiende
Funktion. In der lebensgrofsen, hier stark verkleinerten
Studie zum Kopf der Cholera oder besser des Choleratodes
hat Böcklin, wie mit Meifselhieben ein Menschenantlitz zu
dem Gebilde geformt, das ihm als Ausdruck der erbarmungs-
losen und schmerzvollen Todesart vorgeschwebt hat.

Wie man sieht, geben gleich die ersten sichtbaren
Spuren eines Böcklinschen Gedankens, Teile eines ihm vor-
schwebenden Ganzen oder dieses Ganze selbst, ein Bild, das
bereits in ein Viereck eingeordnet ist, ein Werk, wo in
Gegensätzen sich eine Stimmung ausspricht und wo mit der
Form sich eine Novelle verbindet. Nie ist das treibende
Motiv eine gut geratene Skizze nach einem Stück Natur.
Schon der ersten Aufzeichnung ist eine poetisch abrundende
Vorstellung vorangegangen. 60 viel bewufste Ueberlegung
auch bei der Durchführung eines künstlerischen Gedankens
mit gewirkt hat, die Motive quellen aus jenen Tiefen des
Seelenlebens wo der rechnende Verstand nicht mehr mit-
spricht und von dorther erhalten seine Schöpfungen auch
immer neue Nahrung, während sie allmählich festere Gestalt
annehmen. Freilich hatten deshalb auch Böcklins Werke
„ihren eigenen Willen" und sind so oft etwas anderes
geworden, als der Künstler ursprünglich bezweckt hat.

Heinrich Alfred Schmid

ARNOLD BÖCKLIN, SKIZZE ZU CHOLERA aG<SGW*V?3<*lGCG<W2<j<WC«<W:S<?<Wa<?<iG(W<WC<MX?

([ 48 B
 
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