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Rembrandt sagt: „Die Malerei darf nicht beschnüffelt
werden". Wer eine Symphonie hören will, setzt sich nicht
unter die Instrumente, sondern an einen Punkt, wo alle Töne
sich mischen können. Um sich an einem prismatisch zer-
legten Gemälde freuen zu können, mufs man sich die Mühe
nehmen, den Punkt ausfindig zu machen, an dem die Mischung
der verschiedenen Farbelemente im Auge des Beschauers die
vom Maler gewollten Töne ergiebt.

Man wirft den Neo-Impressionisten vor, für Künstler zu
gelehrt zu sein. Aber der einfachste orientalische Teppich-
weber ist ebenso gelehrt, und was sie lehren, sollten die
Leute alle schon längst gelernt haben, denn es sind nur die
unerläfslichen Regeln der Harmonie, die den Gesetzen des
Kontrastes entnommen und von Chevreuil oder Rood längst
in wenigen Sätzen zusammengefafst worden sind.

Und warum sollte Kenntnis der Bedingungen des
Schönen die Empfindung dafür abschwächen? Ein Musiker,
der weifs, dafs das Quinten-Intervall ein harmonisches ist —
ein Maler, der weifs, was eine aus zwei Elementen be-
stehende Kombination ist — sollten deshalb keine Künstler
mehr sein und die Fähigkeit verlieren, uns zu erschüttern?
Im Gegenteil, die Kenntnis solcher Kunstprinzipien schadet
der künstlerischen Inspiration nicht nur nicht, sondern
kräftigt sie und giebt ihr Richtung, und der Künstler wird
mit um so gröfserer Sicherheit schaffen, wie ja schon Ch.
Blanc von Delacroix sagt: „Nur weil er die Gesetze kannte
und gründlich studierte, nachdem er sie durch Intuition
erraten hatte, wurde er einer der gröfsten modernen Kolo-
risten."

"Wenn aber ein Genie wie Delacroix sich gezwungen sah,
die Gesetze der Farbengebung zu studieren, kann man es da
jungen Malern vorhalten, wenn sie einen solch wesentlichen
Teil ihrer Kunst nicht vernachlässigen?!

Ein anderer Vorwurf ist der: Die Bilder der verschiedenen
Neo-Impressionisten sähen sich derart gleich, dafs es schwierig
sei, die einzelne Persönlichkeit hinter der Gleichförmigkeit
ihrer Technik zu erkennen.

So jedoch wird nur reden, wer Gemälde blos mit dem
Katalog in der Hand unterscheiden kann. In "Wirklichkeit
mufs man sehr unempfindlich gegen das Spiel der Farben
und gegen den Reiz der Harmonie sein, um einen feinen
silbrigen Seurat mit seinen durch Licht und Schatten ge-
milderten Lokalfarben mit einem farbenkräftigen Cross zu
verwechseln, dessen leuchtende Töne noch durch Kon-
trastierung gesteigert werden. Wenn es Leute giebt, die
aus Mangel an künstlerischer Erziehung einen Hokusai nicht
von einem Hiroshige unterscheiden können, weil der
japanische Holzschnitt anscheinend so gleichförmig ist, oder
einen Giotto mit einem Oreagua verwechseln, weil beider
Werke Fresken sind, so wird es auch Leute geben, die
Werke verwechseln werden, die nach der Methode der
prismatischen Farbenzerlegung gemalt sind. Für denjenigen,
der sehen kann, bleibt in dieser Technik jede Persönlichkeit
frei und klar-abgegrenzt. Sie spielen alle wohl das gleiche
Instrument, jeder aber auf seine Art. Jeder stellt sein Wissen
in den Dienst seines Wollens und ist dadurch ebensowenig
gebunden, wie etwa der Dichter durch den Rhythmus.

Es ist möglich, noch leuchtender zu malen, als die Neo-
Impressionisten, aber nur, wenn man die Farben abschwächt,
oder noch farbiger, wenn man sie verdunkelt. Man wird

eines Tages vielleicht noch gröfseren Vorteil aus den Farben
zu ziehen verstehen, über die der Maler heute verfügt,
man wird vielleicht bessere Mittel und neue Farbstoffe finden;
aber man wird für heute wenigstens zugeben müssen, dafs die
Neo-Impressionisten mit den bisherigen Mitteln sowohl das
farbigste als auch das leuchtenste Resultat erzielt haben, und
dafs neben einem ihrer prismatisch zerlegten Bilder — mag
man auch sonst dagegen sagen was man will — jedes andere
Gemälde dunkel oder blafs erscheint.

Wir messen das Talent eines Malers gewifs nicht blos
an der Leuchtkraft oder Farbigkeit seiner Bilder. Man kann
sehr wohl schwarz und dunkel malen und doch ein Genie
sein, und umgekehrt hell und farbig malen und doch als
Künstler nur mittelmäfsig sein. Aber wenn dieses Streben
nach Licht und Farbe auch nicht die ganze Kunst ist, so
dünkt es mich doch ein ganz wesentlicher Teil davon.

Um das Gesagte noch einmal zusammen zu fassen, so
sind: Unterdrückung aller schmutzigen Farbe, Durchführung
des Prinzips der Mischung reiner Farben im Auge selbst,
vernunftgemäfse, strenge Berücksichtigung der Gesetze der
Harmonie — die Punkte, die die Neo-Impressionisten auf
dem Wege erreicht haben, auf dem ihnen Delacroix und die
Impressionisten siegreich vorangeschritten waren, und haben
damit Jedem eine Technik an die Hand gegeben, die von
vornherein Reinheit, d. h. Leuchtkraft, und Gleichgewicht,
d. h. harmonische Stimmung verbürgen.

Sie werden das Verdienst beanspruchen dürfen, — nicht
Altes nachgemacht, sondern eine neue Möglichkeit gefunden
zu haben, einem persönlichen Ideal Ausdruck zu geben. Sie
haben also, wie ihre Vorgänger vor ihnen, das Gebiet der
Malerei und die Grenzen der Kunst überhaupt erweitert. —

II.

Man wird sich vielleicht wundern, wenn nachgewiesen
wird, dass die Neo-Impressionisten keineswegs so revolu-
tionär sind, wie man zu glauben vorgiebt, ja, dafs sie im
Gegenteil nur Vollender sind und dafs das Prinzip der Farben-
zerlegung etwas durchaus Herkömmliches ist, obgleich man
es in keinem Lehrbuch erwähnt findet.

In der That sind nämlich die dargelegten Gesetze der
Farbe, der Linie und der Komposition alle schon von Dela-
croix und Ruskin, teils vorausempfunden, teils bis auf die
kleinsten Kleinigkeiten notiert worden, einerseits also von
dem gröfsten Koloristen und andererseits von dem gröfsten
Aesthetiker unseres Jahrhunderts; und ebenso endlich von
Charles Blanc, dem Kritiker und O. N. Rood, dem Gelehrten.
Es ist überflüssig diese Linie noch weiter zurück zu verfolgen,
obwohl es ein Leichtes wäre, auch aus früheren Zeiten, von
den Primitiven bis auf Watteau herunter zahlreiche Zeug-
nisse für die Anerkennung dieser Gesetze anzuführen.

Nimmt man die einzelnen Teile der neo - impressio-
nistischen Aesthetik und Technik durch und vergleicht sie
mit den Schriften Delacroix, so erkennt man ohne weiteres,
dafs die Maler, von denen hier die Rede ist, kaum etwas
anderes gethan haben, denn als gehorsame Schüler die Lehren
dieses Meisters befolgen und den Zielen nachgehen, denen
seine Lebensarbeit galt.

Wenn die neo-impressionistische Technik einen höchst-
möglichen Grad an Leuchtkraft und Farbe als Ziel aufstellt

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