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gekannt. Sie war kein frohes Kind.

Ihr Haar war dünn und Stirn und Schläfen schienen

viel älter als ihr Mund und ihre Hände;

sie hatte immer Blumen in der Hand.

Sei diesen Seelen gnädig, wie der meinen,
und heifs sie freundlich mir entgegenkommen.
Ich kann nicht niederknie'n, es ist kein Raum.

Braccio:

(steht auf, schiebt seinen Stuhl ins Zimmer, ihr Platz zu
machen, sie beachtet ihn nicht.)

Dianora:
Noch eins; lafs mich nachdenken: Bergamo,
wo ich geboren ward, das Haus zu Feltre,

wo die Oheime und die Vettern waren.....

dann setzten sie mich auf ein schönes Pferd
mit einer reichen Decke, meine Vettern
und viele andre ritten neben mir
und so kam ich hierher, von wo ich jetzt
hingehen soll. . .

(sie hat sich zurückgelehnt und sieht über sich die
flimmernden Sterne auf dem schwarzen Himmel; schaudert)

ich wollte etwas andres.....

(sucht)

von Bergamo, wo sie mich gehen lehrten

bis hierher, wo ich stehe, hab ich mich

vielfach verschuldet, öfter als ich weifs,

am öftesten durch Hoffart, und einmal,

das ich noch weifs, sei für die vielen andern,

die schwerer sind, gebeichtet und bereut:

als ich (denkt nach) drei Tage nach Sankt Magdalena

mit dem hier, meinem Mann und vielen andern Herrn

nach Haus ritt von der Jagd, lag an der Brücke

ein alter Bettler mit gelähmten Füfsen:

ich wufste, dafs er alt und elend war,

auch war etwas in seinen müden Augen,

das meinem toten Vater ähnlich sah ....

trotzdem! nur weil der, welcher neben mir

ritt,
die Hand am Zaum von meinem Pferde hatte,
wich ich nicht aus und liefs den scharfen Staub
von meines Pferdes Füfsen ihn verschlucken,
ja, ritt so dicht an ihn, dafs mit den Händen
er sein gelähmtes Bein wegheben mufste:
dessen entsinn ich mich und ich bereu es.

Braccio:
Der neben Dir ritt, hielt Dein Pferd am Zaume?

(sieht sie an)

Dianora:

(erwidert den Blick, versteht ihn, sehr hart)

Ja. Damals so wie öfter. Damals so

wie öfter. Und wie furchtbar selten doch.1

wie dünn ist alles Glück! ein seichtes Wasser:
man mufs sich niederknieen, dafs es nur
bis an die Schultern reichen soll.

Braccio:

Wer hat
von meinen Leuten, Deinen Dienerinnen
gewufst um diese Dinge?

Dianora: (schweigt.)

BraCCIO: (wegwerfende Handbewegung.)

Dianora:

Falsch, sehr falsch

verstehst Du jetzt mein Schweigen. Was weifs ich,

wer darum wufste? Ich hab's nicht verhehlt.

Doch meinst Du, ich bin eine von den Frauen,

die hinter Kupplerinnen und Bedienten

ihr Glück versteckt, dann kennst Du mich sehr schlecht.

Merk auf, merk auf! Einmal darf eine Frau

so sein wie ich jetzt war, zwölf Wochen lang,

einmal darf sie so sein! Wenn sie vorher

des Schleiers nie bedurfte, ganz gedeckt

vom eignen Stolz so wie von einem Schild,

darf sie den Schleier einmal auch wegreifsen

und Wangen haben, brennend wie die Sonne.

Die 's zweimal könnte, wäre fürchterlich;

mich trifft das nicht, Du weifst's, Du mufst es

wissen!
Wer es erraten, fragst Du mich um das?
Dein Bruder mufs es wissen. So wie Du,
Dein Bruder! so wie Du! Frag den, frag den!

(ihre Stimme hat jetzt etwas Sonderbares, fast kindlich Hohes)

Im Juli am Sankt Magdalenentag,
da war Francesco Chieregatis Hochzeit:
das garstige Ding an Deiner rechten Hand
ist von dem Tag, und ich weifs auch den Tag.
Wir afsen in den Lauben, die sie haben,
den schönen Lauben an dem schönen Teich:
da safs er neben mir und gegenüber safs
Dein Bruder. Wie sie nun die Früchte gaben
und Palla mir die schwere goldne Schüssel
voll schöner Pfirsiche hinhielt, dafs ich
mir nehmen sollte, hingen meine Augen
an seinen Händen und ich sehnte mich
demütig ihm vor allen Leuten hier
die beiden Hände über'm Tisch zu küssen.
Dein Bruder aber, der lang nicht so dumm
wie tückisch ist, fing diesen Blick mit seinem
und mufs erraten haben, was ich dachte,
und wurde blafs vor Zorn: da kam ein Hund
ein grofses dunkles Windspiel hergegangen
und rieb den feinen Kopf an meiner Hand,
der linken, die hinunterhing: da stiefs

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