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und ängstlich aufzurichten schienen, ward er hochmütig. Schnell und sicher
gieng er dem Waldrand zu, und dann quer über den Weg, durchs Gestrüpp,
über den schlüpfrigen Abhang, zum Waldbach hinunter. Durch die kahle steile
Schlucht, die Felsstürze mit Blöcken gefüllt hatten, drängte das Wasser bergab.
Er kniete auf glatten rundgewaschenen Steinen und tauchte seine Hand in das
grüne Wasser, das zornig gegen Felsen, die den Weg ihm sperrten, sich warf,
und weifs an ihnen aufschäumte. Getrennt von seinem Leib durch eisige Kälte
war seine Hand; dafs sie ihm zugehörte, machte ihn staunen und er sah auf sie
wie auf ein fremdes unbegreifliches Tier. Dort, wo das Wasser in einer steilen
Bucht dunkel sich staute, war es tief; an der Hand des Vaters gieng er sonst oben
den Waldweg und warf Steine hinab und sah ihrem Sinken zu. Wenn man
dort hineinfiel, war man todt. Und dafs er jetzt allein da war, und nur ein
wenig sich vorzuneigen brauchte, um da hinunter zu gleiten, und dann todt sein
konnte — so todt wie ein Erwachsener — erfüllte ihn mit Stolz und Würde.
Schweigend, und mit glänzenden Augen, kam er nach Hause, und verschenkte
noch am Abend seine Kostbarkeiten — eine Pfauenfeder und eine Patronen-
hülse — an einen Bauernjungen; so sehr fühlte er sich anders und Herr über
grofse Schätze und Geheimnisse.

Und ein Abend — er wufste nicht mehr wann, — aber er erinnerte sich,
dafs es nur wenige Jahre nach dem Tode seiner Mutter gewesen sein mufste.
Ein Sommerabend. An die steinerne Brustwehr der alten Festung war der
weifsgedeckte Tisch gerückt, an dem er safs. Vor ihm, in einem Weinglas,
standen Rosen. Welk von den vielen heifsen Stunden des Tages und zu spät
mit Wasser gelabt, hingen sie gleichgiltig und schwer über den Rand des Glases.
Sie — der die Rosen gehörten — safs ihm gegenüber; aber mit der Hand ihr
Gesicht beschattend, neigte sie sich weit über die Brüstung und sah auf die
Landschaft. Er sah nur die graue steinerne Masse der Brustwehr, und von
ihr bis zu den weiten Bergen, die in eins mit den Abendwolken quollen, war
nur helldurchleuchtete zitternde Luft, getränkt von der sinkenden Abendsonne.
Die aber über die Brustwehr sich neigte, sah alles was dazwischen lag. Unter
ihr Felsen und Baumwipfel und die Dächer der Häuser und Brunnen und
weifse breite Wege zu Schlössern zwischen Gärten, und Teiche, zur Hälfte
schon im Abendschatten erblindet, und zur Hälfte noch blendendes Licht
schleudernd — und endlich die Berge und die feurigen Wolken, die auch er
sah; und seine Augen ruhten auf den Bergen, froh und geduldig wartend, sicher
dafs auch ihre Augen, wenn sie über alles andere gewandert, dort rasten würden.

Dann sah er auf sie, denn er fühlte dafs sie sprechen würde. Fest-
geschlossen schien noch ihr Mund; wie die Schalen einer Muschel fügten sich
ihre Lippen in einander. Schwer sich von einander trennend, öffneten sie sich,
und Worte, deren Sinn er vergessen, hiengen einen Augenblick lang in der
Form der Lippen, dann lösten sie sich von ihnen, zitterten, und starben in
die Abendstille. Und dafs der Klang ihrer Worte so verwehen durfte, dafs
die Luft nicht von ihnen schwang und bebte — so lange nicht einmal, als

G 9° D
 
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