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W. VOLZ, KOPFLEISTE

LUCIFER

EIN TANZ-UND-GLANZSPIEL

VON RICHARD DEHMEL

VORWORT:

ICH veröffentliche hier ein gröfseres, in sich ge-
schlossenes Bruchstück von einem pantomimischen
Drama, das als Versuch gelten will, aus den bar-
barischen Reizen des alten Mysterienschauspiels
und des modernen Ausstattungsballetts ein künst-
lerisches Etwas zu entwickeln. Das Drama führt in
sieben Verwandlungen die Zwie-und-Eintracht der
hellen und der dunkeln Triebkräfte vor und treibt sich
sozusagen von der antiken Erde durch die mittelalter-
liche Hölle in einen neuen, ewig alten Himmel hinauf.
Indem ich also hier die beiden ersten Verwand-
lungen veröffentliche, die das antike Liebesleben in
geistig wechselnder Beleuchtung zeigen, mufs ich
den Leser bitten, nicht etwa eine Predigt für oder
wider das Christentum dahinter wittern zu wollen;
aus den Beziehungen von Lucifer zu Venus
einerseits, von ihnen Beiden zur Menschen-
welt anderseits, entwickelt sich im weiteren Ver-
lauf der Handlung die Höllenfahrt Lucifers und
seine Abkehr von Venus, dann seine Auferstehung
und Wiedervereinung mit Venus, dann Beider
Himmelfahrt zur Mutter mit dem Kinde. Dieser
seelischen Entwicklung entspricht natürlich auch
das sinnliche Gewand, und hierauf ganz besonders

möchte ich das Augenmerk des Lesers lenken.
Es war mir überall darum zu thun, die Bühnen-
reize in vollkommen sinnbildlichen Einklang mit
einander und mit den jeweils leitenden Grund-
stimmungen zu setzen, die Tanzfiguren wie die
Glanzeffekte, die Farben der Kostüme wie Kulissen,
und auch dem Komponisten solche voll harmoni-
sche Wirkungen anzubahnen; da aber der poetische
Text in diesem Falle kaum mehr als ein Referat
des eigentlichen Kunstwerks werden durfte, weil
ja hauptsächlich Leitfaden für den Regisseur, so
mufs die Anschauungskraft des Lesers ihm noch
selbstthätiger entgegenkommen als überhaupt dra-
matischen Texten. Auch alles scheinbar blos Deko-
rative ist auf das geistige Band hin anzuschauen;
vornehmlich möchte ich bitten, sich die Kulissen
nicht in der üblichen naturalistischen Manier ge-
malt zu denken, sondern in einem ausdrucksvoll
vereinfachten Stil, wie er dem Rhythmus der Tanz-
kunst entspricht. Indem ich schliefslich noch davor
warne, nach philosophisch-allegorischen Tenden-
zen in dieser Dichtung zu fahnden, widme ich sie
dem Meister des transscendentalen Galgenhumors
PAUL SCHEERBART.

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