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STAEUBCHEN

.TIEF unten ruhte der tote Dichter. Grauklumpige und
braunkörnige Erde, fast so hoch wie er selbst gewesen,
lastete schwer auf seiner Gruft. Kein Laut aus der
frohgestimmten Welt drang in die kalte Erde seiner
Einsamkeit und aus den durchsonnten Lüften unter
dem blauen Himmelsbogen glitt kein froher Ruf in seine
tote Stille. — Sein zerfallender Leib spürte nur den drängen-
den Druck der Erdlast. Schwerer und schwerer stemmte sie
sich gegen die mürben Reste seiner Menschlichkeit. Und wenn der Sturmregen
über sein Grab schnob und dicke Wassertropfen in die Erde sickerten, dann rifs
wohl ihm zu Häupten das Brett, das seine Stirn erhob und das leise Krachen
zermorschter Erde erschütterte die Atome der nachdringenden Moorschicht.

Und eines Tages ... da geschah es. Geheimnisvolles Leben griff mit tausend
gierigen Wurzeln und Händen nach ihm, und nun begann ein unendlicher
Kampf gefräfsiger Atome um seine tote Schwachheit.

Mit leisem Krachen löste sich der Schädel und ergab sich wehrlos dem
Drange brünstigen Lebens in tiefster Erde. Aus den Augenhöhlen sog eine
Wurzel sich lebendige Kraft und strebte zitternd empor zum Licht. Nach
und nach trank sie das stille Leben seines Todes ganz zu sich empor. Und
sie gewann Festigkeit und sanfte Fülle, Keime schlössen sich an Keime; fein
und sanft schob sie ihre tastenden ßlütenspitzen immer höher empor und drängte
sich langsam und sacht durch graue Erdkörner und schmutzige Regentropfen.
Und eines Morgens lockte das holde frohe Wunder.
Ein letztes rotes Sandkorn schob sich bei Seite und rollte hinab, und
nun stach ein winziger grüner Halm mit ängstlichem Finger durch die Erde.
Und wurde fast fahl vor Erstaunen! Und blieb stehen, indes seine Erregung
nachzitterte bis tief in den Erdboden hinein, wo das letzte Atom des Dichter-
schädels längst sein totes Leben hingegeben hatte.

Und höher hob der Halm den grünen Kopf. Nun zog die Sonne herauf
und überhäufte ihn mit wunderlich wohlthuender Wärme und sorglichem Glanz,
die Sterne stiegen auf und der Mond rollte über ihn dahin. Und wieder die
Sonne . . . und die Sterne . . . und der Mond . . .
Und wieder . . .

Eine volle Rose streckte der Halm jetzt dankbar dem klaren Gesicht

der Sonne entgegen, wie in seligem Entzücken über ihre junge Pracht und Glut.

Da erbebte sie plötzlich bis auf den Wurzelgrund ihrer Seele. Eine feste

Hand prefste sich um den Stiel, und mit einem Ruck rifs eine fremde Gewalt

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