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Sollte Gefahr sein, dafs die Nacktheit im Bilde sich zu
sehr bemerklich macht oder aufdrängt, so würde dies gleich
wegfallen, wenn man andern Dingen (oder Menschen) im
Bilde ein gröfseres Interesse verleiht.

2. August 66.

(Böcklin.) Ein Künstler müsse stets darauf achten, dafs
sich sein Gefühl und sein Verstand gleichmäfsig ent-
wickelt, und einer, der zu Sentimentalität und Idealismus
neigt, sollte gerade ein nüchtern bewufstes, naturalistisches
Studium einschlagen.

Man müsse durch stetes Studium und Beobachten den
Geist rege und beweglich halten, und müsse suchen, alle
Anlagen zu entwickeln, die die Natur in einen gelegt hat,
ohne Furcht, sich durch zu grofse Vielseitigkeit zu zer-
stückeln. Im Einseitigen kann nie rechte Tüchtigkeit

liegen.

Böcklin behauptet, man könne sich in jedem Ort der
Welt, natürlich auch in Deutschland weiterbilden und
Schönes schaffen. Man müsse nur nicht seine Ideen in die
Natur hineintragen wollen, sondern sich von der Gegend
selbst anregen lassen. Im anderen Falle könne man vielleicht
die ganze Welt durchreisen und doch nichts Passendes finden.
Wieviel Deutschland anregen kann, das könne man aus den
deutschen Bildern, wie aus Holbein und anderen erkennen.

Bezüglich der Vielseitigkeit der alten Meister meinte
Böcklin, dafs deren Streben wohl ein tüchtiges gewesen.
Unsere Zeit stelle aber viel gröfsere Anforderungen und ob-
wohl unsere Kunst viel unklarer ist, so liegt doch jene Zeit,
wie eine Kinderzeit der Kunst hinter uns und das Meiste,
was Leonardo da Vinci im Festungsbau und Schönbau, in
Musik, Dichtkunst, Mathematik, Perspective etc., und so-
gar vieles, was er in der Malerei geleistet hat, ist für unsere
Zeit unbrauchbar geworden. Jene harte Modellierung (er
war eigentlich der Erfinder der Modellierung), seine Stoffe,
wie Eitelkeit und Bescheidenheit etc. haben für die Jetztzeit
keine Bedeutung mehr.

Dafs bei uns keine Kunstblüte ist, liegt an der Interesse-
losigkeit der Menge, nicht nur an der nüchternen, un-
malerischen Aufsenseite der Menschen — denn, dafs die
Alten nackt gingen, ist unwahr. Auf der Bühne, die doch
das Leben repräsentiert, gingen sie nie nackt. Es war künst-
lerische Anschauung bei ihnen, dafs sie z. B. einen Sieger
nackt in triumphierender Manriesschönheit, die Viktoria mit
Kranz aber hinter ihm, darstellten. Während heutige Künstler
z. B. Adam im Geschmack der Zeit den siegenden Feldherrn
mit klarer Uebersicht der Schlachtordnung (so dafs ein Fach-
mann gerade die betreffende Schlacht daraus erkennen würde)
darstellen würde.

Es ist in heutiger Zeit auch gar nicht an einen baldigen
Umschwung zu höherer Kunstanschauung und gröfserem
Kunstsinn zu denken, trotz Eisenbahnen, Telegraphen und
gröfserer Wechselbeziehung der Völker: denn, wenn ein
Volk oder eine Zeit dazu disponiert ist, so kann er sich bei
den einfachsten Lebensverhältnissen und Zuständen in un-
glaublich kurzer Zeit entwickeln, wie in Griechenland.

In einer Weise hätte die Kunst des Cinquecento doch
einen Schritt weiter gemacht, indem sie nicht blofs zum

Auge, sondern auch zum Gefühl sprach. Das ganze Alter-
tum hatte z. B. nicht eine so liebenswürdige Idee dargestellt,
wie die Mutterliebe (Madonnen) etc. Uns, die wir gewöhnt
wären, aus der Verhüllung nur den Kopf der Menschen zu
sehen, läge der Ausdruck und Inhalt der Darstellung näher
als blofse Formenschönheit.

Böcklin entgegnete: Wie könne man nur glauben, dafs
den Griechen Gemüt und Gefühl in ihrer bildenden Kunst
abgehen, da sie doch so viel in ihren Tragödien und in ihrer
Lyrik zeigen.

Was ist überhaupt Gefühl, Rührung, Heiterkeit in der
Kunst, in der Musik ? Sind es nicht vielmehr unbeschreib-
liche Eindrücke, die wir im Auge, im Ohre empfinden und
denen wir nur Verwandtschaft mit unsern Seelenzuständen
zuschreiben (wie warm und kalt Analogien für ein
Empfinden in anderer Richtung).

In einzelnen Hauptwerken des Cinquecento ist diese
Aufgabe der Malerei, auf das Auge zu wirken, ohne dafs
man den Eindruck mit Worten erklären oder schildern kann,
vollkommen gelöst. Man könnte höchstens davon sagen:
„Ja, es ist eine Frau, die steht so da, und neigt den Kopf
dahin," und damit wäre die Beschreibung fertig. So z. B.
wird Rafaels Violinspieler dem Beschauer immer ein
Rätsel bleiben. Rafael jedoch ist sich der Ursachen, warum
es so wirkt, gewifs fast durchweg bewufst gewesen. Das ist
jedoch nicht wahr, was viele behaupten, dafs er habe hinein-
legen wollen, der Jüngling würde frühzeitig sterben.

Einige von diesen derartigen Bildern sind die einzigen
fast, •worin die Aufgabe der Malerei vollständig gelöst ist.
Die grofse Masse der Schöpfungen des Cinquecento sind
aber arger Wust. Das fällt einem recht auf, wenn man von
den pompejanischen Wandgemälden in Neapel in das obere
Stockwerk zu Rafael, Tizian etc. tritt, die einem gegen die
antike Schönheit wie Zopfbilder vorkommen. Die ge-
schwungene, fast gezierte Bewegung einer rafaelischen Ma-
donna, die ihr Kind wie einen Fisch in den Armen hält und
es mit der konventionellen Handstellung umschliefst, die
bunten und doch dabei nachgedunkelten Farben, das alles
macht einem jene Bilder zuwider. Wir sind nur von Jugend
auf so an die vermeintliche Schönheit dieser Bilder gewöhnt
und treten dann vor eine Venus Milo und sagen: „die ist
auch schön", ohne den ungeheueren Abstand zu fühlen.

Böcklin meint, wenn die Farnesina verschüttet und
aus dem Gedächtnis der Menschen ausgewischt wäre und
nach tausend Jahren als einziger Rest ihrer Zeit ausgegraben
würde, man würde glauben, der Schöpfer dieser Bilder sei nicht
recht bei Sinnen gewesen, dafs er solche Psyche, solche Venus
schön glaubte.

3. August 66.

Wenn man eine Komposition beginnt, von zwei Figuren
etwa, so denkt man sie sich doch in einem bestimmten Ver-
hältnis und das bedingt dann weiter alle anderen Verhält-
nisse im Bilde. Unrecht wäre es aber, mit Abstecken der
Verhältnisse (wie Ludwig) ein Bild zu beginnen. Man mufs
ein Bild frei entstehen lassen und kann es nur, wenn es fertig
ist, nachmessen.

Böcklin erzählte jedoch: wie er einmal eine Figur, die
ein Bild ausmachte, nie recht in die Mitte bringen konnte.
Als er darauf zwei Linien kreuzweise über das Bild zog,
wurde es ihm leicht.

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