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PETER BEHRENS

kETER BEHRENS' erstes Interesse galt der
Farbe. — Gewifs! Stand doch, als er
seine Künstlerlaufbahn begann, das
Rein-Malerische, Farbige überhaupt im
Vordergrund; galt es doch damals vor-
nehmlich, jeden Eindruck und sei er an-
scheinend noch so farblos, in das Reich
'der Farbe zu ziehen; man wollte alle
Töne auflösen in Valeurs. Seine ersten
Gemälde tragen impressionistischen

Mv ~\^st*zr~<sr-' Charakter.

Immer auf der Suche nach den wenigen „grofsen" Ein-
drücken, erregten bei der Münchener Jahresausstellung von
18 91 zwei Bilder von Behrens mein Interesse. Beide ver-
suchten das Problem zu lösen, Schatten und Tiefen der herein-
brechenden Nacht in farbigen Werten wiederzugeben. Das eine
griff ins Arbeiterleben; „Entlassen" schreitet ein Arbeiter
am dunklen Bahndamm entlang, während im Hintergrunde
die Feuer einer grofsen Fabrik noch glühen und die Schlote
dampfen. Auf dem anderen Bilde sitzt ein Mann „in Ge-
danken" mit brennender Cigarre einsam und sinnend
zwischen Theetisch und Fenster; durch das Fenster läfst die
blaue Nacht kaum noch einen Lichtstrahl fallen.

Ich verfolgte das Werk des Künstlers. Auf der inter-
nationalen Ausstellung von 1892 war er vertreten durch
einen „Feierabend", eineHafenscene in roter Abendbeleuch-
tung mit einem grofsen mennigrot gestrichenen Dampfer im
Vordergrund. Die Sezessionsausstellung von 1893 brachte
dann zwei Bilder kleineren Formats. „Vorfrühling", drei
Mädchengestalten, die in violetten, grünen und roten
Kleidern auf einer Waldwiese Ringelreihen voll graziöser
Manieriertheit tanzen; und „Abend", eine junge Frau in
grünem Gewand vor einem violett aufleuchtendem Blüten-
baume.

Dann verschwand der Name des Künstlers von der Liste
der Aussteller. Während dieser Zeit schon hatte er Holland
besucht, hatte in engem Verkehr mit Künstlern wie Jos. Israels
und Neuhuis gestanden und war entzückt — wie alle Welt
damals — von jenem stillen, frischen Lande mit seinen
markigen, schweigsamen Bewohnern. Er ging ganz auf in
Licht- und Farbproblemen, wie sie sich ihm aufdrängten im

Zwielicht der Dämmerung oder der tabaksqualmerfüllten
Wirtsstuben. Dann legte er sich die Frage vor: Mufs es
gerade Holland sein? — und er ging zurück zur engeren
Heimat, um in Hamburg ähnliche Vorwürfe zu finden. Ge-
legentlich bekam man wohl einige der Arbeiten aus dieser
Zeit zu Gesicht, einen „Sonnenuntergang" mit der vollen
roten Scheibe über einem Brachfeld, eine „Hamburger
Kneipe", ein paar Pastelle, „alter Kirchhof", der Georgi-
friedhof in Hamburg, durch dessen kahle bizarre Bäume man
hinwegsieht auf einen fernen Kirchturm; und noch ein
anderes: zwei Menschen, die auf einsamen Felde umschlungen
in die „Dämmerung" hineingehen, während am Horizont
das letzte Rot der Wolken verglüht. — Im übrigen hörte
man vier volle Jahre nichts mehr.

Zu dieser Zeit vollzog sich eine bedeutsame Wandlung
mit Behrens. Ein so selbständig Denkender und Schaffender
wie er, mufste sehr bald fühlen, dafs der Impressionismus
mit seiner Betonung des Rein-Malerischen einen Höhepunkt
bedeute, über den man mit denselben Mitteln einstweilen
nicht hinauskönne. Zitternder Sonnenschein, flimmernde
Dämmerung, wogende Nebel und verschleiernde Nacht,
vibrierendes Taglicht und flutendes Gaslicht — alles war
schon in mannigfaltigen Farbharmonieen gröberer und feinerer
Art auf die Leinwand gebannt. Alle Stimmungen waren er-
schöpft. Alles, was impressionistisch zu sagen war, das war
auch schon gesagt. So war für einen zur Selbständigkeit auf-
wachsenden Künstler ein Wechsel des speziellen Aeufserungs-
gebiets nur allzu naheliegend. Von Einflufs auf diesen Wechsel
— bei Behrens wie bei so manchem Gleichgesinnten — sollte
der gleichzeitige, ungeahnte Aufschwung des Kunstgewerbes
werden. Gerade aber durch das, was man „Stil" im Kunst-
gewerbe nennt, durch den im engsten Anschlufs an Mittel,
Material und Zweck entstandenen Formcharakter, mufste
ein erhöhtes Interesse an derZeichnung wach werden,
eine erneute Freude an der Linie! Nicht der Quattrocentisten
Farbe zog mehr an, sondern ihre Linien, diese naiven und
doch so ausdrucksvollen, diese herben und doch so süfsen
Linien; aber daneben noch eins! Nicht der Quattrocentisten
Inhalt zog an, sondern das was sie allein bezweckten: eine
Fläche mit ihren Gestalten, mit ihren Farben und Linien zu
schmücken, also ihr dekorativer Charakter.

€ 117 I)
 
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