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auszudrücken. Willumsens Ernst und künstlerische Ehrlich-
keit sind sicher Goldes wert, und doch helfen sie ihm nicht
das Ziel erreichen, das er in seinen Träumen sich steckt.
Denn Zeichen und Sinnbilder, die man nur durch lange
Katalogerklärungen fassen kann, sind nicht Kunst, sondern
Lehrbuch-Abstraktionen.

Kunst ist lebendige Mitteilung von Seele zu Seele, ein
Sinneverzaubern, ein unmittelbares Stimmungswecken; Kunst
vereinigt sich schlecht mit Philosophie, selbst wenn sie viel-
mal tiefsinniger ist als die Willumsens. Doch es ist tief
ergreifend, eine Künstlerseele so bitter kämpfen zu sehen,
um das Unerreichbare zu erreichen. Diese Rastlosigkeit,
dieser steinharte Wille würde viel erringen, wenn nur eine
Möglichkeit wäre, Weg zu bahnen.

Willumsen ist Symbolist! Er symbolisiert Hör- und Seh-
empfindungen, Seelenstimmungen, Ideenassociationen, wie das
erlebte oder erdachte Phänomen sie ihm eingegeben hat. Er
suggeriert dem Beschauer diese Eindrücke nicht dadurch, dafs
er die Vorgänge darstellt, wie sie waren, sondern dadurch,
dafs er allerhand Zeichen und Figuren einschiebt, deren tiefere
Bedeutung erst durch das geschriebene Wort klar wird.

Beispiele: „Montagnes russes — die zwei grünen Linien
oben bezeichnen die Linienwirkung der Rutschbahn (die man
nicht sieht), die Farbe und Behandlungsweise schildert die
grelle Häfslichkeit des Vorganges" — „Steinbrecher in
üppiger Berggegend" — die geflügelten Gemsen mit den
Schwimmfüfsen symbolisieren die freie Tierwelt der Berge,
die Menschen aber müssen arbeiten im Schweifs ihres An-
gesichts, um sich Nahrung zu schaffen."

„Zwei Bretagnerweiber nehmen Abschied. — Die
Linien in den Figuren sollen die doppelte Bewegung von
Drehung und Gang veranschaulichen, die Sonnenflecken
herum sollen den Eindruck der
Unruhe verschärfen" u. s. w.
Es ist klar, dafs Willumsen in
seinem reformatorischen Eifer
die Grenzen überschritten hat,
die die bildende Kunst mit
ihren Mitteln und infolge-
dessen mit ihrer ganzen Natur
im Stande ist auszudrücken.
Ich sage nicht, dafs Kunst-
genufs ein Spiel sein soll und
leicht zu erlernen, die wirklich
grofse und eigentümliche Kunst
birgt Heimlichkeiten, die nicht
von jedem verstanden werden,
die nur mit geistiger Anspan-
nung und Aufmerksamkeit er-
worben werden können. Die
volle Erklärung des Werkes
aber mufs man in dem Werke
selbst suchen, indem man sich
ihm ungestört hingiebt, sie

darf nicht abhängig sein von aufsenstehenden Katalogan-
gaben.

Ueberall in Willumsens Produktion stufst man indessen
auf Einzelheiten, die ebenso sehr durch die künstlerische
Vollkommenheit der Form imponieren wie durch ihre geistige
Gedankenreife. Willumsen braucht durchaus nicht den
grofsen zusammengeflickten Apparat von gewöhnlichem
Tiefsinn — der nur seine eigenen Züge verwirrt — um be-
deutend zu wirken. Er ist weit klarer und fafslicher, wo er
allein auftritt in einer einfachen, einzelnen Form: in dem
kleinen Motiv eines einzelnen Kopfes zum Beispiel. Dann ist
er ganz originell und tief, ohne es sein zu wollen. Das
beste Beispiel hierfür sind die grofsen Köpfe aus Steingut
(Teile von einem übernatürlichgrofsen unvollendeten Relief)
auf der „Freien Ausstellung" des vorigen Jahres. Sie scheinen
unter dem Eindruck der frühesten griechisch-ägyptischen
Skulptur zu stehen. Die umränderten Lippen und die ver-
längerte und hervorgehobene Form der Augenlider weist
darauf hin. Ein einziges, benannt „Koreg", scheint zugleich
von gewissen japanischen Werken im selben Geiste inspiriert.
Die Auffassung aber ist so durchaus neu und die Ausführung
so überlegen und inhaltsreich, dafs diese Arbeiten für mich
die vollendetsten Schöpfungen Willumsens sind. Ein graziöses
und amüsantes Bild stellte er dieses Jahr aus. „Spielende
Amoretten" heifst es und ist ein Versuch in dem leichten
galanten Genre, dem Willumsen bisher keine Aufmerksam-
keit geschenkt hat. An einem gedeckten Tisch im Freien
sitzt ein junges, elegantes, verliebtes Paar und trinkt einander
in Champagner zu. Lustiger, strahlender Champagnerrausch
und glühende Verliebtheit atmen aus dem ganzen Bilde.
Ueber ihren beiden Köpfen kreisen eine Schar niedlicher aus-
gelassener Amoretten, entstanden aus der Stimmung von

Glück und Liebe, die die Prosa
des Alltags zur schönsten
Poesie umwandelt. Willumsen
ist auch hier „Symbolist", aber
so, dafs keine Kataloger-
klärung nötig ist.

Ich mache hier Schlufs, nicht
aus Mangel an Stoff, denn
besonders unter den jüngeren
Künstlern der „Freien Aus-
stellung", wären viele, deren
Talent und Streben wohl wert
wäre, erwähnt zu werden. Es
konnten hier aber nur die
Hauptzüge gegeben werden
und die genannten Künstler sind
die, in deren Arbeiten sich am
typischsten dänisches Geistes-
leben abspiegelt als ein Glied
in der neueren europäischen
Kunstkultur.

Kopenhagen im Mai i 898.

JOHANNES KRAG, BÜSTE

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