KUENSTLERPOSTKARTEN
N unseren Tagen, da die Kunst trotz aller
Bemühungen einer kleinen Gemeinde von
unverbesserlichen Idealisten, ihr wieder Sitz
und Stimme im Handwerk und im täglichen
Leben zu verschaffen, sich langsam aber stetig
davon zu entfernen scheint, da wir von der
Höhe unseres Jahrhunderts der Erfindungen
mit Stolz auf das vergangene, achtzehnte zurückblicken, dem
Eisenbahnen, Telegramme, Plakate oder Ansichtspostkarten
unbekannte Begriffe waren, und dem wir doch angesichts
seiner hochentwickelten Geisteskultur, seines sicheren Taktes
und Geschmacks in künstlerischen Fragen nicht das Wasser
reichen, da ist es wohl an der Zeit jeden, auch den kleinsten
Schritt zum Bessern freudig zu begrüfsen und „die hohe, die
himmlische Göttin" willkommen zu heifsen, wo immer sie
sich im hastenden Gewühl des modernen Lebens zeige, —
sei's auch nur auf dem engbegrenzten Raum einer Postkarte.
Ein zukünftiger Chronist des neunzehnten Jahrhunderts,
wird, wenn er mit offenem Auge unser Leben und Treiben
beobachtet hat, vielleicht berichten, dafs die Menschen am
Ende des Jahrhunderts eine eigentümliche Krankheit befiel,
eine Epidemie, die, von Deutschland ausgehend, sich zunächst
auf dieses Land beschränkte, dann aber auch, durch leicht
fertige Touristen verschleppt, die Schweiz und Tirol ergriff,
die Alpen überstieg und sich in Italien ausbreitete, schliefslich
Belgien und Frankreich nicht verschonte und selbst im kühle-
ren England ihre Opfer forderte. Es war das Ansichtspost-
kartenfieber. Mit dem immer mehr erleichterten Reiseverkehr,
mit den kombinierbaren Rundreisebillets und den Extrazügen
kam es über die Menge jählings und unaufhaltsam. Ein
Jeder, der sonst nicht den Bannkreis der heimischen Grenz-
pfähle überschritten, nun plötzlich bis München, Luzern oder
gar bis Mailand vorgedrungen war, fühlte das unwidersteh-
liche Verlangen, diese wichtige Thatsache seinen Lieben da-
heim schwarz auf weifs in Form eines nur mit wenigen
"Worten auszufüllenden gedruckten Blattes mitzuteilen.
Diese gewissermafsen amtliche Bescheinigung des „Da-
gewesenseins", der eigentlich nur noch die Unterschrift
des jeweiligen Bürgermeisters, Dorfschulzen oder Gastwirtes
fehlte, fand ihre erste Verkörperung in der Ansichtspostkarte.
Es bleibt der Specialforschung vorbehalten zu entscheiden,
ob sie ihren Namen von den kunstlosen Bildchen herleitete,
die bald den Kölner Dom, bald den Bahnhof von Prieste-
witz in mehr oder minder gewissenhaften Ansichten zur
C 189 ]>
N unseren Tagen, da die Kunst trotz aller
Bemühungen einer kleinen Gemeinde von
unverbesserlichen Idealisten, ihr wieder Sitz
und Stimme im Handwerk und im täglichen
Leben zu verschaffen, sich langsam aber stetig
davon zu entfernen scheint, da wir von der
Höhe unseres Jahrhunderts der Erfindungen
mit Stolz auf das vergangene, achtzehnte zurückblicken, dem
Eisenbahnen, Telegramme, Plakate oder Ansichtspostkarten
unbekannte Begriffe waren, und dem wir doch angesichts
seiner hochentwickelten Geisteskultur, seines sicheren Taktes
und Geschmacks in künstlerischen Fragen nicht das Wasser
reichen, da ist es wohl an der Zeit jeden, auch den kleinsten
Schritt zum Bessern freudig zu begrüfsen und „die hohe, die
himmlische Göttin" willkommen zu heifsen, wo immer sie
sich im hastenden Gewühl des modernen Lebens zeige, —
sei's auch nur auf dem engbegrenzten Raum einer Postkarte.
Ein zukünftiger Chronist des neunzehnten Jahrhunderts,
wird, wenn er mit offenem Auge unser Leben und Treiben
beobachtet hat, vielleicht berichten, dafs die Menschen am
Ende des Jahrhunderts eine eigentümliche Krankheit befiel,
eine Epidemie, die, von Deutschland ausgehend, sich zunächst
auf dieses Land beschränkte, dann aber auch, durch leicht
fertige Touristen verschleppt, die Schweiz und Tirol ergriff,
die Alpen überstieg und sich in Italien ausbreitete, schliefslich
Belgien und Frankreich nicht verschonte und selbst im kühle-
ren England ihre Opfer forderte. Es war das Ansichtspost-
kartenfieber. Mit dem immer mehr erleichterten Reiseverkehr,
mit den kombinierbaren Rundreisebillets und den Extrazügen
kam es über die Menge jählings und unaufhaltsam. Ein
Jeder, der sonst nicht den Bannkreis der heimischen Grenz-
pfähle überschritten, nun plötzlich bis München, Luzern oder
gar bis Mailand vorgedrungen war, fühlte das unwidersteh-
liche Verlangen, diese wichtige Thatsache seinen Lieben da-
heim schwarz auf weifs in Form eines nur mit wenigen
"Worten auszufüllenden gedruckten Blattes mitzuteilen.
Diese gewissermafsen amtliche Bescheinigung des „Da-
gewesenseins", der eigentlich nur noch die Unterschrift
des jeweiligen Bürgermeisters, Dorfschulzen oder Gastwirtes
fehlte, fand ihre erste Verkörperung in der Ansichtspostkarte.
Es bleibt der Specialforschung vorbehalten zu entscheiden,
ob sie ihren Namen von den kunstlosen Bildchen herleitete,
die bald den Kölner Dom, bald den Bahnhof von Prieste-
witz in mehr oder minder gewissenhaften Ansichten zur
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