Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
das auch den Künstler im schöpferisch entrückten Augen-
blick erfüllte, also die Wirkung grade der Unpersönlichkeit.

Dies scheint nun fast im "Widerspruch zu aller, mit so
viel Erbitterung verteidigten, künstlerischen Eigentümlichkeit
zu stehen und jede Schätzung persönlichen Ausdrucks in Stil
■wie Stoffwahl auszuschliefsen. Aber wie allenthalben be-
dingen auch hier die Gegensätze einer das Dasein des andern.
Ein Kunstwerk, das sich nicht durch irgendwelche Besonder-
heit vor vielen andern auszeichnet, kann uns natürlich
auch nicht zu besonderer Beachtung reizen. Aber was uns
diesem Reiz erst nachzugehen zwingt, das eben ist
jenes Unpersönlichkeitsbedürfnis, das uns unwillkürlich hinter
der fremden Besonderheit etwas uns Allen Teilhaftiges ver-
muten läfst, jenes Allgemeingefühl, das uns mit jeder Kreatur,
mit jedem Tier und Baum und Stein verbindet, das uns an
jedem irdischen wie überirdischen Ding nach immer neuen
Eigenschaften, d. h. Beziehungen zu uns selber suchen läfst,
das eigentlich Schöpferische, Unerschöpfliche, ob wir's nun
Leben oder Natur, Gott oder Weltgeist, Allseele oder Seele der
Menschheit, Ur-Ich oder sonstwie nennen mögen —: wir
wenden uns enttäuscht ab von dem Kunstwerk, sobald wir
jene Vermutung des Allgemeinen hinter dem Besondern nicht
darin bestätigt finden. Und auch beim Künstler selber ist es
so: erst dieses Allgemeine, Unfafsbare, Grenzenlose, wie sich's
im Prisma seines persönlich beschränkten Bewufstseins bricht,
sei es durch sinnliche oder durch geistige oder durch Gemüts-
Wahrnehmung— gleichsamdiedreiFlachendiesesPrismas —:
erst das macht den persönlichen Stil mit allen seinen Zu-
und Unzulänglichkeiten, und einzig darum fühlt sich auch
der Künstler niemals vollkommen selbstbefriedigt durch sein
fertiges Werk.

Darum halte ich es aber auch für ganz verkehrt, wenn
eine supermoderne Aesthetik sich dagegen auflehnen will,
nach allgemeinen Mafsstäben für künstlerischen Wert und
Unwert zu suchen. Die kritische Methode, wie Lessing und
Schiller sie für Deutschland begründet haben, nämlich die
klar begrenzte Feststellung gewisser höchster Wertbegriffe
auf Grund stets wiederkehrender Gefühlserfahrungen bei
allen stärksten Kunstgenüssen, ist Etwas, dessen sich die
menschliche Natur nie wird entschlagen können. Wenn eine
neuere Aesthetik dies dadurch zu ersetzen hofft — nicht etwa
blos zu ergänzen, sondern zu ersetzen hofft — dadurch dafs
sie das Kunstwerk rein beschreibend als eigenartig reizvolle
Erscheinung, womöglich gar als pathologische, zergliedern
will, so ist sie schlechterdings in einer Selbsttäuschung be-
fangen. Denn damit sagt sie über die eigentliche Kunst-
wirkung als solche nicht das Geringste aus, setzt vielmehr
im Grunde jene idealistische Methode schon voraus, indem
sie eben nur mit solchen Werken sich beschäftigt, die nach
Mafsgabe irgendwelcher Allgemeingefühle bereits als irgend-
wie wertvoll anerkannt sind. Dafs solche allgemeinen Mafs-
stäbe, wie auch Herr Moeller-Bruck sie von seinem Stand-
punkt aus angelegt hat, immer auf allerlei Querstriche von
anderem Standpunkt aus stofsen werden, liegt nicht an einem
Fehler der Methode, sondern ist in der Natur des Kunstwerks
einerseits, des menschlichen Verstandes anderseits begründet,
weil eben jene,s letzte unpersönliche Grundgefühl der künst-
lerischen Wirkung über die Grenzen klarer Wahrnehmung,
wovon unser Verstand ja obendrein nur ein Bestandteil ist,
stets weit hinausreicht.

Um dieses Grundgefühls so gründlich wie möglich teil-
haftig zu werden, mufs man sich selbstverständlich immer an
das Kunstwerk selber halten; und wer es unter dem Banne
seiner persönlichen Eigenart hinter der fremden Eigenart des
Künstlers nicht zu entdecken vermag, dem wird es kein Ver-
stand der Kunstverständigen je zu Gemüte führen. Denn alle
Kunstwirkung läuft schliefslich auf das Wunder der Liebe
hinaus, das sich begrifflich nur umschreiben läfst als Aus-
gleichung des Widerspruches zwischen Ichgefühl und All-
gefühl, Selbstbewufstsein und Selbstvergessenheit. Ja, man
kann gradezu sagen: je mächtiger ein Kunstwerk uns dieses
allumfassende Gefühl zum Eindruck bringt, umso ausdrück-
licher darf und mufs — schon um des technischen Gleich-
gewichts willen — auch die persönliche Art des Künstlers
zum Vorschein kommen, während man ohne jenes Un-
persönliche die menschliche Selbstentblöfsung der Schaffen-
den, diese völlig grundlose Offenherzigkeit in seelischen wie
leiblichen Dingen, die jedem ursprünglichen Kunstwerk
eignet, nur als die mehr oder weniger unverschämte Auf-
dringlichkeit von Marktschreiern empfinden würde. Jede
Ueberschätzung der Persönlichkeit ist also gleichbedeutend
mit Unterschätzung ihrer oder überhaupt der Kunst.

Und demgemäfs: je stärker sich in einer Zeit dies Un-
persönlichkeitsbedürfnis regt, ob nun in religiöser oder sozialer
oder sexueller oder sonst einer Beziehung, umsomehr wächst
auch die Lust der Schaffenden, sich über die stilistischen Ex-
perimente, die wiegesagt stets nur der Ausdruck des beschränk-
ten Selbstbewufstseins sind, hinauszuheben zu -wirklich über-
schauenden Zeit- Welt- und Lebens-Sinnbildern, nicht mehr
der blofsen Anschauung zu dienen durch eigentümlich
stimmungsvolle „Naturausschnitte" und „Seelenstände", die
selbst den Eingeweihten anmuten wie Tempelwände voll
Hieroglyphen, sondern mal -wieder ein paar Pyramiden zu
bauen, von denen aus Jeder, der notabene die Mühe des
Hinaufsteigens nicht scheut, ganz einfach in den freien Himmel
und über tiefes Land sehen kann! — Ich will mit dieser bild-
lichen Floskel nicht etwa einer bodenlosen Himmelstürmerei
das Wort reden, die sich auf Erden nicht zurecht zu finden
versteht. Im Gegenteil: es ist ein Zeichen der Unreife, wenn
man noch glaubt, den Himmel erst erobern zu müssen. Wir
sind ja jeden Augenblick — ich meine das ganz wirklich
und wahrhaftig — mitten drin im Himmel; die Erde ist ja
im Unendlichen genau so hoch oder tief zuhause, wie etwa
die Sonne oder ein anderer Stern.

Dies wissen heutzutage freilich schon sehr Viele; aber
fühlen, als etwas Selbstverständliches mitfühlen, mit Fleisch
und Blut und allen Nerven, thun es erst recht Wenige. Und
grade dieses selbstverständliche, genau so irdische wie über-
irdische Allgefühl, das jede andere Empfindung, jede Einzel-
wahrnehmung, jeden Gedanken des Schaffenden stützt und
trägt, das grade ist die wesentliche Basis, auf der die grofsen
Bauwerke der Kunst sich immer wieder erheben. Anläufe
dazu — das werden Sie, hoffe ich, beim Hören der von mir
planmäfsig unter diesem Gesichtspunkt ausgewählten Dich-
tungen empfunden haben — Anläufe, um auf diese Basis
zu gelangen, sind heut schon wieder mannigfache im Gange;
und dafs daraus ein allgemeiner, richtungsicherer Wettlauf
werden möge, das darf —- so heftig sich im übrigen der
Eigensinn der Strebenden bekämpfen mag — wohl Jeder
dem Andern wünschen.

([ 26 B
 
Annotationen