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mitfühlend nachzugehn, das ist unsere, der Empfangenden
und Empfänglichen, Schönheksfreude. Sie ist um so reiner
und stärker, je unbefangener und beharrlicher der Künstler
der natürlichen Gesetzmäfsigkeit des Leibeslebens nachgespürt.
"Wir Nordländer pflegen überdies dankbar zu sein, wenn er
dabei auch die bezeichnende Eigenart persönlicher Züge nach-
gebildet und ausgedeutet hat. Darum verlangen wir, dafs er
uns durch intensiv eigenartige Arbeit packe und überzeuge.
Darum erkältet uns nichts rascher, als wenn wir entlehntes
und erschlichenes Fremdgut dort antreffen, wo wir uns am
Eigenen freuen wollen; und nichts vergeben wir schwerer
als handwerksmäßige Aeufserlichkeit, selbst wenn sie sich
zu virtuoser Schnellfertigkeit steigert. Was Klinger die
Herzen so Vieler gewinnt, auch dort, wo ihre Augen anders
sehen und ihre Empfindung geschiedene Wege geht, das ist
die vollendete Selbsttreue, die starke und reine Innerlichkeit,
die echte Ehrlichkeit seines Schaffens. Es ist vielleicht das
grüfste Stück von dem Geheimnis seiner Wirkung, dafs er
uns überall Selbsterdachtes und Selbstgeschautes schenkt, und
dafs er mit aller Kraft in seiner Art vollendet zu geben
sucht, was er geschaut.

Und so bildet er sich denn auch in gewaltiger An-
strengung einen eigenen Stil für die bildhauerische Wieder-
gabe des Nackten. Nicht als ob er die Antike nicht kennte
und schätzte. Er selbst gesteht, dafs er sich früher als Maler
wenig um sie gekümmert. Erst das eigene Bildhauern hatte
ihm Lust gemacht, * sich die Statuen des Louvre anzusehn.
Als er aber nach seiner Rückkehr aus Italien wieder zu ihnen
gegangen, habe er doch manche Enttäuschung erlebt. Allein

die melische Aphrodite, die Nike von Samothrake und einige
ältere Sachen hätten standgehalten — d. h. mit einem Wort,
nur die griechischen Originale bestanden vor dem Auge, das
von der intensivsten Arbeit vor dem lebendigen Nackten
herkam. Um wieviel tiefer er die Alten jetzt verstand, davon
legt so manches feinsinnige Wort in seinem Büchlein Zeug-
nis ab. Aber auch jenem Besten stand er damals als ein
Freier gegenüber und ist es geblieben.

Auch dem Banne des Steines bleibt unser Künstler nicht
einseitig verfallen. Er ist ein ganz anderer, sobald er in
Bronze arbeitet. Wer von Klingers knapp in den Block
hineinkomponierten Gestalten herkommt, dem scheint es, als
ob das kleine liegende Bronzemädchen (S. 35) in ihrem
Marmorbecken die feinen Gliederchen recke, froh nicht auch
im Stein eingekerkert zu leben. Bei den drei Tänzerinnen
(S. 51 u. 53) vollends bricht ein übermütiges Gliederregen in
ausgelassenen Tanzgeberden aus — immer rund herum um den
waldhornblasenden Amor auf seinem Töpfchen. Von jeder
Seite bietet sich dem Beschauer ein wechselndes Bild dar: bald
scheinen die Mädchen lustig durcheinander zu hüpfen, bald ihre
Glieder zu einer kunstvollen Gruppe zu verschränken. Stets
aber ist es die Silhouette, die vorzugsweise spricht, ganz
wie es ein echter, kühner Bronzestil will. Zugleich verrät
sorgfältigste Durchbildung der gerundeten Gliederchen, mit
welcher Liebe der Künstler den verzwickten Gleichgewichts-
schwankungen nachgegangen ist, die es hier darzustellen galt.

Eins dieser Figürchen, die Tänzerin, welche rückwärts
niederblickend den rechten Schenkel hebt, hat der Künstler
in einem hervorragend feinen florentiner Bronzegufs auf einen

4AX KUNGER, BAUENDES MÄDCHEN (MARMOR)

besonderen Sockel
von rotem Marmor
gesetzt. Es befindet
sich als Geschenk des
Künstlers im Besitz
der Familie Lehrs in
Dresden. Dies ist das-
selbeFigürchen,daser
in einer Handzeich-
nung einmal versuchs-
weise mit einem feinen
Gewände bedeckte,
das dem hüpfenden
Tanze flatternd folgt
(s. Meifsners Klinger-
werk Tafel 61 und
Seite 50). Die ganze
Gruppe aber hat er in
neuen pariser Güssen
auf einen kostbaren
Mosaikboden eigener
Zeichnung und ein
Fufsgestell aus kost-
barem mexikanischen
Onyx und Jura-Jaspis
gesetzt, das in seiner
runden Form den Ein-
druck der drehenden
Bewegung des Tanzes
so fühlbar verstärkt.

MAX KLINGER, BADENDES MADCHEN (MARMOR)

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