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ADOLF HILDEBRANDS WAHLURNEN

\DOLF HILDEBRAND hat sich über die Gesichtspunkte,
J~\ welche ihn zu der Gestaltung seiner Urnen geführt
haben, auf das Ersuchen der Redaktion selbst geäufsert und
für ihre Veröffentlichung das Folgende freundlichst zur Ver-
fügung gestellt.

„Die Urnen sind aus Bronze mit teilweiser Vergoldung
gedacht und würden je circa 2 o Pfund wiegen. Da sie nicht
wie ein beliebiges Gerät auf dem Präsidententisch herum-
rutschen können, sondern ihren ständigen bestimmten Platz
haben müssen, so steht jede auf einem ganz einfachen
Marmorsockel, der je nach Zweckdienlichkeit höher oder
niedriger gehalten werden könnte, als im Modell. Ich
nahm da eine Höhe an, bei der die Urnen noch über die
Umsitzenden etwas herausgeragt hätten.

Da es sich bei der Formgebung der Urne in diesem
Fall nicht blos um Herstellung eines praktischen Gerätes
im kunstgewerblichen Sinne, sondern um ein Kunstwerk
im höheren und monumentaleren Sinne handelte, so er-
schien es mir richtiger, die Erscheinung mehr für das Aus-
sehen im Moment des ruhigen Dastehens, als für das des
flüchtigen und seltenen Herumtragens zu formen, dabei
aber immer im Auge zu behalten, dafs die Urne auch
bequem getragen werden konnte. Für letzteren Zweck
genügte es, sie möglichst leicht und das Anfassen bequem
und handlich zu machen. Dazu waren hier Henkel

gänzlich unnötig, da weder eine heifse Brühe herum-
getragen werden sollte, wobei das Gefäfs nicht selbst
angefafst werden kann, noch ein Ueberschwappen in Be-
tracht zu ziehen war. Aufserdem hätten Henkel gerade
das schwerfällig betont, worauf es hier nicht ankam, und
dazu war ich froh, sie des unnötigen Gewichtes wegen
entbehren und dafür etwas anbringen zu können, was
künstlerisch wichtiger und dankbarer war — nämlich
Figuren. Diese konnten einen ebenso festen Anhalt für
die Hände gewähren wie Henkel, ja eigentlich einen viel
angenehmeren und zugleich noch einer andren Funktion
dienen. Ich konnte damit noch das Anbringen eines
besonderen Fufses vermeiden, der zum Herumtragen an
und für sich überhaupt unnötig war und nur das Gewicht
vermehrte. Wenn ich also die Figuren zugleich als Fufs
benutzen konnte, so hatte ich wieder etwas gewonnen.
Vier Figuren, die die Urne umspannen konnten, stehend
angebracht gaben einen sicheren Fuss für die Urnen ab
und, in strenger karyatidenhafter Weise dastehend zugleich
der Urne einen ernsten monumentalen Charakter, der sie
von allen anderen Urnen und andrer Nutzanwendung
unterschied. Da ich in den Figuren das Volk ganz all-
gemein und ohne Spitzfindigkeit ausdrücken konnte, indem
ich vier Männer und vier Weiber verschiedenen Alters
anbrachte, so wurden dadurch die Urnen kleine symbolische
Monumente, bei denen die Figuren sowohl eine praktische

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