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MAX KLINGER, GEWA

GEORGES RODENBACH

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EM feierlichen Geist des Schweigens, der über
den einst so prunkvollen, reich belebten
Städten Flanderns schwebt, hat ein Dichter
Sprache verliehen, der vor kurzem auch in
das Reich des Schweigens hinabgesunken ist:
Georges Rodenbach. Er gehört zu jener
eigenartigen Dichterschaar, die von Belgien herüberkommt,
um sich auf dem französischen Parnafs Heimatsrechte zu er-
werben und von der Maeterlinck wohl am meisten genannt
wird. Frühe schon schloss er sich dem excentrischen Dichter-
bund der „Hydropathes" an, die in den Brasseries des quartier
latin zu Paris ihr Wesen trieben. Später aber, nach längerem
Aufenthalt in Belgien, pflegte er die ihm innerlich verwandten
Kreise Stephane Mallarmes und Edmond de Goncourts auf-
zusuchen, welche beide nun auch durch den Tod ihrer Führer
aufgelöst worden sind.

Er ward geboren am 16. Januar 1855 zu Tournai in
Belgien, verlebte seine Kinder- und Jünglingsjahre in Brügge
und die Hauptperiode seines Schaffens fällt mit seinem fünf-
zehnjährigen Aufenthalt in Paris zusammen. Dort ist er am
25. Dezember 1808 aus dem Leben geschieden, eine Anzahl
unvollendeter Arbeiten zurücklassend, unter denen sich auch
ein Drama für die Comedie francaise befindet.

Wir sehen in ihm einen der begabtesten Vertreter jener
jungen Poetenschule Frankreichs, die von Mallarme den Wert

des Symbols und von den Goncourt den „style pittoresque"
und das „epithete rare" erlernten. Wir sehen ihn ferner
ausgerüstet mit der hohen Empfindungsfähigkeit des gröfsten
aller Impressionisten und Stimmungskünstler, des Dichter-
vagabunden Paul Verlaine. Dennoch aber verfällt er nicht
in die phantastischen Ausschreitungen der Symbolistenschule,
die stolz darauf ist, „dekadent" zu heifsen. Er wandelt seine
eigenen Pfade: eine Wanderung ist's durch das Vergangene,
das einst ein reiches, glanzvolles Leben gekannt und nun als
Schatten seiner selbst mit verblafsten Farben, gedämpften
Lauten, leidenschaftslosen Gesten in weltabgeschiedener Ein-
samkeit sich selbst überlebt; eine Wanderung durch das
ausdrucksvolle Schweigen, das ihm tausendmal mehr sagt,
als die lärmende Hetzjagd des Pariser Lebens.

Im hohen Grade offenbart sich in Rodenbach auch das
brennende Suchen der neu-idealistischen Kunst und Dichtung
nach der Seele der Dinge: „l'ame des choses". Ein Jünger
der Aesthetik Mallarmes, sah auch er in den Erscheinungen,
die für die vorangegangene Dichterschule alles bedeutet
hatten, nur Dinge von sehr relativem Wert; weit höher stand
ihm die Idee, die sie, seiner Ansicht nach, symbolisch ver-
körperten und ihre Idee, ihre Seele wollte er deuten und
zum Ausdruck bringen.

Eine ganz bestimmte Erscheinungswelt umschwebte ihn:
seine Heimat, das tote Flandern; die darin schlummernde

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