MAX KLINGER, GEWANDSTUDIE ZU SALOME
BERNINI
IN der Einleitung zu seinen „Promessi Sposi" fingiert
Manzoni den Fund eines halb verblichenen, vielfach durch-
strichenen Manuskriptes aus dem siebzehnten Jahrhundert, von
gemeiner Schreibweise und eigenmächtiger Grammatik, voll
ungelenker Satzbildung und ungereimter Phrasen, geschwolle-
ner Rhetorik und ehrgeizigen Gemeinplätzen — kurzum
den Inbegriff der für die Schriften jenes Landes und jener Zeit
charakteristischen Art und Weise. — Und dennoch erglänzt
aus einer derartigen Sammlung eine Prachtleistung: das Buch
über die Kunst von Gian Lorenzo Bernini, einem Manne, der
sich himmelhoch über das Gelichter der Lanzknechte und
Bravi, der Marktschreier und Abenteurer, Ritter und Tyrannen
seiner Zeit erhob. In jenem ebenso verderbten als eiteln und
haltlosen Zeitalter stand er unter den Wenigen, die sich frei
davon hielten und zu Höherem aufschwangen, zielbewufst da.
Zwischen hysterischen Visionären und fieberhaft erregten
Zeitgenossen schritt er mit seinem Löwenherzen und seinem
athletischen Muskelbau, von alledem unberührt, siegreich
einher. Woher kam diesem neuen Herkules solch unvermutete
Kraft? Was war es, das aus der verkommenen Gesellschaft
des siebzehnten Jahrhunderts eine solche Herrschergestalt em-
porschnellte? Stellt euch auf den von Bernini geschaffenen
öffentlichen Plätzen, jene in ihre Mäntel gehüllten Menschen-
schwärme mit ihren wehenden Sturmfedern und gewaltigen
klirrenden Schwertern vor, wie sie ihre gesteiften Halskrausen
bewegen und ihre langen, reich durchwirkten Gewänder in
buntem Wirrwarr nach sich ziehen und es wird euch nun
und nimmer gelingen, daraus den Geist von Berninis Genius
zu erklären. Bespülen jene Menschenfluten ja kaum die
kolossalen Felsstücke, worauf seine Giganten niedersausen.
Die Gesellschaft war verzwergt; Bernini aber war ein Riese
und Rom seine künstlerische Nährmutter.
Man hat behauptet: Rom zähle unter seinen Söhnen
keine hervorragenden Künstler. Insofern man nur nach dem
Taufschein sieht, ist dies richtig; nicht aber, wenn man über
den Ursprung des Genius, über den seine Schöpfungen be-
lebenden und anregenden Geist nachdenkt.
Durch alle Jahrhunderte, zu allen Zeiten, hat die Roma
aeterna den Genius beschwingt, ihm von ihrer Herrscher-
macht eingeflöfst und königliche Kränze verliehen. Welch
künstlerisches Erbe für Bernini! War doch ein ganzes Volk
von Künstlern bereits vor ihm, ruhmbedürftig, nach Rom
geströmt! Gleichwie das Blut von den Adern zum Herzen,
so drängt die Kunst aus allen Teilen Italiens zur ewigen Stadt,
um sich dort anzusammeln, zu stauen und überzufliefsen. ■__
Von seinem goldenen Zeitalter an ist Rom fortwährend nicht
C 57 I)
BERNINI
IN der Einleitung zu seinen „Promessi Sposi" fingiert
Manzoni den Fund eines halb verblichenen, vielfach durch-
strichenen Manuskriptes aus dem siebzehnten Jahrhundert, von
gemeiner Schreibweise und eigenmächtiger Grammatik, voll
ungelenker Satzbildung und ungereimter Phrasen, geschwolle-
ner Rhetorik und ehrgeizigen Gemeinplätzen — kurzum
den Inbegriff der für die Schriften jenes Landes und jener Zeit
charakteristischen Art und Weise. — Und dennoch erglänzt
aus einer derartigen Sammlung eine Prachtleistung: das Buch
über die Kunst von Gian Lorenzo Bernini, einem Manne, der
sich himmelhoch über das Gelichter der Lanzknechte und
Bravi, der Marktschreier und Abenteurer, Ritter und Tyrannen
seiner Zeit erhob. In jenem ebenso verderbten als eiteln und
haltlosen Zeitalter stand er unter den Wenigen, die sich frei
davon hielten und zu Höherem aufschwangen, zielbewufst da.
Zwischen hysterischen Visionären und fieberhaft erregten
Zeitgenossen schritt er mit seinem Löwenherzen und seinem
athletischen Muskelbau, von alledem unberührt, siegreich
einher. Woher kam diesem neuen Herkules solch unvermutete
Kraft? Was war es, das aus der verkommenen Gesellschaft
des siebzehnten Jahrhunderts eine solche Herrschergestalt em-
porschnellte? Stellt euch auf den von Bernini geschaffenen
öffentlichen Plätzen, jene in ihre Mäntel gehüllten Menschen-
schwärme mit ihren wehenden Sturmfedern und gewaltigen
klirrenden Schwertern vor, wie sie ihre gesteiften Halskrausen
bewegen und ihre langen, reich durchwirkten Gewänder in
buntem Wirrwarr nach sich ziehen und es wird euch nun
und nimmer gelingen, daraus den Geist von Berninis Genius
zu erklären. Bespülen jene Menschenfluten ja kaum die
kolossalen Felsstücke, worauf seine Giganten niedersausen.
Die Gesellschaft war verzwergt; Bernini aber war ein Riese
und Rom seine künstlerische Nährmutter.
Man hat behauptet: Rom zähle unter seinen Söhnen
keine hervorragenden Künstler. Insofern man nur nach dem
Taufschein sieht, ist dies richtig; nicht aber, wenn man über
den Ursprung des Genius, über den seine Schöpfungen be-
lebenden und anregenden Geist nachdenkt.
Durch alle Jahrhunderte, zu allen Zeiten, hat die Roma
aeterna den Genius beschwingt, ihm von ihrer Herrscher-
macht eingeflöfst und königliche Kränze verliehen. Welch
künstlerisches Erbe für Bernini! War doch ein ganzes Volk
von Künstlern bereits vor ihm, ruhmbedürftig, nach Rom
geströmt! Gleichwie das Blut von den Adern zum Herzen,
so drängt die Kunst aus allen Teilen Italiens zur ewigen Stadt,
um sich dort anzusammeln, zu stauen und überzufliefsen. ■__
Von seinem goldenen Zeitalter an ist Rom fortwährend nicht
C 57 I)