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ADOLF HILDEBRAND, BACCHISCHES RELIEF (TERKACOTTAj

DETLEV FREIHERR VON LILIENCRON

Toast.
Auf das Wohlsein der Poeten,
Die nicht schillern und nicht goethen,
Durch die Welt in Lust und Nöthen
Segelnd frisch auf eignen Böten.

Eichendorff.

ist jetzt fünfundfünfzig Jahre alt. Und
man kennt seinen Namen, so weit die
deutsche Zunge klingt. Die jüngeren
Litteraten aller Parteien verehren ihn als
eines der hervorragendsten Talente der
Gegenwart, und auch die „Alten" können
ihm den Ehrentitel eines Poeten nicht
mehr absprechen. Dabei schreibt er erst
seit zwanzig Jahren — ein ausnehmend rascher Erfolg.
Dennoch hat kaum ein deutscher Dichter sich so häufig und
so leidenschaftlich über die Gleichgültigkeit des Publikums
beklagt wie Liliencron. In dem zweiten, dritten und vierten
Gedichtbande, die er herausgab, spielt der verachtete Poet
eine ebenso wichtige Rolle wie seine andern Lieblings-
themata: Erotik, Jagd, Krieg und Tod. Erst im „Poggfred"
hat sich das etwas gegeben, die paar Maulschellen, die er da
noch an einzelne Kritiker austeilt, sind dafür um so kräftiger.
Der Stumpfsinn und die Geschmacklosigkeit unseres
Volkes. Welcher Künstler hätte nicht darunter zu leiden
gehabt! welchem Tüchtigen wurde je ein früher Erfolg! Er

ist jetzt fünfundfünfzig. "Was will er denn eigentlich? Ganz
Jungdeutschland jauchzt ihm zu!

Nun ja, seit gestern oder vorgestern. Es ist dennoch
wahr: Liliencron hat es schwer gehabt; und das Traurigste
war, dafs er nicht etwa hinter gleichwertigen, glücklicheren
Künstlern zurückstand, sondern Jahr für Jahr die „jämmer-
lichste Plempe" auf dem litterarischen Markte erscheinen und
rasend Absatz finden sah. Nicht einmal der deutsche Offizier-
und Soldatenstand, den er verherrlicht hat wie Keiner, hat
sich um ihn gekümmert, sondern nährt sich bis heute von
gehaltlosen Hackländereien. Wenn Liliencron jetzt sein
kleines, aber weitverbreitetes und begeisterungfreudiges Pu-
blikum hat, so ist daran zum grofsen Teil die lärmende Re-
klame schuld, die vor ein paar Jahren durch die moderne
Dichterschule von München aus für ihn in Szene gesetzt
wurde. Dank, Otto Julius!

Der „verkannte Dichter" aber ist inzwischen nicht etwa
verhungert, sondern grade erst zu Kräften gekommen. So
wenig poetisch Wertvolles in jenen Dichtungen stecken
mag, in denen Liliencron seinen Schmerz und Hohn über

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