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Süfses, seliges Verstecken
Einen Sommer lang.

Die verblüffende Meisterschaft aber in der Handhabung
der Werkzeuge des Ausdrucks, der Wörter und Satzbil-
dungen, die aller Ecken und Enden in seinen Werken auf-
fällt und selbst die oben zitierten Satzscheus'älerchen nicht als
Versehen, sondern als Kühnheiten erscheinen läfst, hat er
keiner Ammenkost zu verdanken; die ist ihm direkt aus den
Brüsten der Mutter aller echten Kunst, aus den Brüsten des
Lebens geflossen.

Es giebt geborene Künstler des Ausdrucks, denen jedes
Wort, das sie brauchen, gleich so zur Verfügung steht, dafs
ihre Aussprüche nicht geformt, sondern gewachsen scheinen.
Das erhabenste Wunder solcher künstlerischer Vollendung
haben wir in Christus. Charakteristisch ist, dafs wir da die
Form ganz über der Sache vergessen. Auch bei Männern wie
Luther und Bismarck geht das so, bei Goethe vorzüglich in
seinen Gesprächen; man sieht, es sind nicht grade immer die
Künstler von Profession. Wie selbstbewufst nimmt sich neben
diesen die glänzende Prosa Nietzsches aus, des stilistischen
Wunderkindes der Moderne. Man darf dennoch nicht glau-
ben, dafs jene Männer nicht an der Vervollkommnung ihrer
Sprachmittel gearbeitet hätten; von Luther wenigstens wissen
wir, dafs er die Sprache seiner Bibelübersetzung mit aufser-
ordentlicher Mühe und Sorgfalt und Ueberlegung schuf und
feilte, und wie viel Bismarck bei Kollegen und Untergebenen
auf einen guten Stil gab, ist wohl bekannt genug.

Das Ausschlaggebende ist wie gesagt dieses, dafs all jenen
„Geborenen" die Sprache nicht Zweck, sondern Mittel war.
Die Prägnanz geht ihnen über die Schönheit. Es wäre eine
fruchtbare Arbeit für einen philologischen Statistiker, einmal
den Schiller einerseits und den Goethe und Liliencron ander-
seits auf die Menge der epitheta ornantia hin durchzuackern.
Die klassizistische Verirrung des Geschmacks in unserm Jahr-
hundert, die in der Malerei, der Litteratur und Musik das
Leben nur als einen Vorwand zu „schönen" Kunstprodukten
benutzte, hat durch die Lebensunmittelbarkeit Liliencrons
ihre letzte Position eingebüfst, die sie in der Litteratur noch
mühsam behauptete, nachdem ihr anderwärts schon durch
Manet, Böcklin und Wagner der Garaus gemacht worden
war. Mit einer vor ihm unerhörten Geradheit und Naivität
geht Liliencron vor: er sagt, was er denkt; ob es tief, flach,
bedeutend, armselig ist, weifs er garnicht. Und siehe da, es
wirkt allemal:

Doch Abends, wenn's ruhig wird, fällt es mir ein,
Ich möcht' auf meiner Haide sein.
Jung war das Mädel und jung war auch ich,
Gern hart' ich das Mädel und gern hatt' sie mich...

Man hat sich früher etwas anderes unter „Dichten" vor-
gestellt, als solche Verse zu machen.

Indessen die Vergangenheit wirkt nach; sie ist noch
lange nicht ausgerottet und triebunfähig gemacht. Warum
denn auch? Liliencron ist in den poetischen Formen rein
konservativ, ja die Leidenschaftlichkeit, mit der er die
unreinen Reime verurteilt, mutet fast reaktionär an. Eine
Zeit lang hat er mal einen Anlauf genommen der reimlosen
willkürlichen Betonung neue Gebiete zu erschliefsen; aber es
ist bei dem Anlaufe geblieben: das letzte und bedeutendste
seiner Werke, der „Poggfred", enthält fast ausschliefslich
Ottaven und Terzinen — die schwierigsten Formen; neben

ihnen hat er weniger das bereits ziemlich ausgewrungene
Sonett, als die Siziliane gepflegt, in deren knappen Rahmen
er, vielleicht grade durch den Reiz der Knappheit verlockt,
die entzückendsten Miniaturen hineinkomponiert hat. Für
die Schaffung einer neuen lyrischen Form, um die ganze
Gruppen moderner Dichter sich abmühen, hat er nichts ge-
than. Er hat die alte beibehalten, weil — nun ja, weil auch
sie ihm durch das Leben, durch sein Studium der Meister
entgegengebracht war. Es war ihm natürlich, gleich ihnen
in diesen Formen sich zu bewegen. Fast ist es, wenn man
seinen Stil mit dem etwa eines Arno Holz oder Stefan George
vergleicht, als hörte man ihn sagen: Ich bin ein Mensch,
was geht mich die Kunst an.

Hoch wertet er ja auch die alten Formen nicht; bald
mifshandelt er um ihretwillen die Sprache, bald müssen sie
unter seiner naturalistischen Sprechmanier leiden; er legt sich
ja überhaupt nie die geringste Gene auf. Pafst es ihm in
seinen Kram, so erlaubt er sich kühnere Sprachgewaltsam-
keiten, als je einer vor ihm; ich habe schon oben Beispiele
gegeben.

Es ist indessen geraten, sich seine Verse immer genau
anzusehen, ehe man das Urteil über sie spricht. Wenn er
von seinem Wucherjuden sagt:

Er liegt in Mainz, in Gott ruhend, begraben;
Ich hatte wirklich gern den alten Knaben

— so ist darin eine diskrete Andeutung des Mauscheins des
seligen Levy wohl erkennbar. Wenn es in dem Widmungs-
gedichte an Falke heifst:

Ich erzählte, dafs ich gestern einem Freunde,
Der die „Seestadt" Hamburg kennen lernen wollte,
Endlich auch nach Sehenswürdigkeiten führte . . .

so gehört dieses Anakoluth in den gemütlichen Plauderton
des Ganzen. Anderseits vergewaltigt er auch wieder das
Versmafs um der Sache willen. Wenn der alte General a. D.
ausruft:

O jene Zeiten! könnt ich mir eintauschen

Das alte Herz, die alte Fröhlichkeit!

— wie rührt uns der Ton dieses allen Takt und Drill über-
flutenden, schmerzlich sehnsüchtigen Wortes „eintauschen"!
In ähnlicher Weise wollen Verse gewürdigt sein wie

Ueber Dornhecken ohne viel Gespringe
oder

Halali, Zinkentusch und Jubelspenden
oder

Stümprig tönt die gestohlene Syrinx. —

sie stehen zwischen lauter fünffüfsigen Jamben. Die aller-
feinste „Künstlerhand" verrät vollends die folgende Siziliane
mit ihrer verloren herausgrellenden zweiten Zeile:

Schon nascht der Staar die rote Vogelbeere,
Zum Erntekranze juchheiten die Geigen,
Und warte nur, bald nimmt der Herbst die Scheere
Und schneidet sich die Blätter von den Zweigen,
Dann ängstet in den Wäldern eine Leere,
Durch kahle Aeste wird ein Flufs sich zeigen,
Der schläfrig an mein Ufer schickt die Fähre,
Die mich hinüberholt ins kalte Schweigen.

Der Vorwurf saloppen Arbeitens ist ja trotzdem nicht
ganz unbegründet. Aber wenn Liliencron sündigt, so sün-
digt er mit Bewufstsein. Er hat den pedantischen Leser direkt
zum besten: es giebt eine Ottave, in deren zweiter Reimzeile

C 97 B

*3
 
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