lieb ist; das will ich glauben: eine verbotene heifse junge
Liebe
im sanften Mond,
im Sehnsuchtpuls der Nachtigallenlieder,
und als das zarte Geschöpfchen gestorben ist, die Leiche
durch den Geliebten mitten aus der höhnischen Leichen-
hochzeitfeier herausgerissen, in wahnsinniger Flucht bis oben
auf den Turm geschleppt, und dann alle Beide hinunter in
den Abgrund — das will ich glauben, das gefällt ihm!
Indessen ich meinte es tiefer, das mit der „Romantik."
Nicht nur in seinem künstlerischen Geschmacke und in seinen
Ideen: auch im Leben, in seinem innern Wesen ist Liliencron
Romantiker. Er steht allen praktischen Aufgaben hülflos
gegenüber. Das moderne Leben mit seinen unzähligen Fragen
an den Einzelnen und an die Gemeinschaft kennt er nicht.
Nur in einem einzigen seiner Gedichte (Auf dem Bahnhof)
kann man etwas von dem Schweifsathem unserer industriösen
Zeit wittern. Die Demokratie ist ihm ein Nichts, er lebt
in einem altmodischen Feudalismus. Er kann nicht rechnen
und giebt der Stimme des Herzens prinzipiell den Vorzug vor
der des Geldbeutels, ja träumt sich hinein in ein verschwen-
derisches Mäcenatentum und unerhörtes Mit-Geld-umsich-
werfen. „Weltklug, das Eiseswort, kanntest du nimmer,"
mufs er sich selbst sagen. Pafst solch ein Mensch in unsere
Zeit? Höchstens wohl insofern, als er eine gegensätzliche
Ergänzung zu ihr bildet.
Der moderne Mensch hat das Bedürfnis, sich als ein
Problem zu fühlen. Ist Liliencron ein Problem? er ist ein
famoser Kerl, fertig! Wir sind alle ein bischen angekränkelt;
hier ist die Gesundheit in Person. Wir schwanken alle
zwischen christlicher und heidnischer Moral, zwischen Zweck
und Grund, zwischen Wollen und Können hin und her;
hier ist einer, der unerschütterlich fest und „jenseits" steht.
Wir zweifeln die ganze Welt an und uns selber dazu; hier
ist die harmonische Antwort und Selbstbejahung.
Woran liegt es, dafs eine so bunte Erscheinung wie
Liliencron so harmonisch wirkt? Hat sie doch der Gegensätze
und Widersprüche so viele in sich! Ich habe schon auf seine
künstlerischen Inkonsequenzen aufmerksam gemacht: Er
nennt den unreinen Reim ein Zeichen der Trägheit und ist
selbst nicht sorgfältig; er spöttelt über die Ottave und kann sie
doch nicht entbehren; er ärgert sich über das Dichter-„e" und
braucht es gelegentlich selbst. Und als Mensch! Grand-
seigneur und Hungerleider, Naturpoet und Phantast, altmo-
disch und lebenslustig, romantisch und alltäglich, ein Patriot
der fortwährend über die Deutschen schimpft, ein Poet der
sich selbst zum Besten hat.. . alles unvermittelt nebeneinan-
der. Er hat ein rührendes Mitgefühl mit Verwundeten und
Sterbenden in der Schlacht und schämt sich nicht derThränen;
und er braucht nur einen Helmblitz zu sehen im Feld, da
packt ihn die Sehnsucht nach dem Krieg. Er fühlt gradezu
christlich, wie schwer das Loos des gemeinen Mannes ist,
das Loos der Proletarierkinder; und ganz lustig fesselt er
ein Mädel nach dem andern und reifst sich dann von ihr
los — ist so etwas logisch? Wie bringt er das fertig? Wie
kann Einer bei solchen Inkonsequenzen so fest auf den Beinen
stehen? Da steckt das Problem.
Er bringt es fertig kraft einer Kraft. Und diese Kraft ist
die Selbstbeschränkung. Was im Leben seinen leicht erreg-
baren Geist beirren könnte, davor macht er einfach Kehrt;
aber nicht aus Feigheit, sondern aus Notwehr, aus Trotz.
Darin liegt der Wert seiner Lebensromantik. Sie giebt ihm
die Fähigkeit, das offenste Herz abzuschliefsen gegen alles,
was im Stande wäre dieses Herz anzufressen. In diesem
Punkte ist kein Geringerer sein Bruder als Goethe. Darum
spielt das Motiv des verhungernden Dichterlings eine so grofse
Rolle bei ihm, weil er dieser Pose und Posse bedarf, um
nicht zu verzagen. Kann er nicht rechnen — gut: so ist das
Rechnen überhaupt etwas Untergeordnetes. Kann er ein
bürgerliches Normalleben nicht führen — wohl! so sind
alle gemeinnützigen Aemter vom Minister bis zum Laternen-
anzünder Philisterkram und werden ganz einfach mit Skat
und Schützenfesten, mit Generalversammlungen und Familien-
journalen in Eine Kategorie geworfen. Und wird ihm die
„freie Liebec', verdacht, so macht er vor der sozialen Seite
der Frage fest die Augen zu, entzückt sich an ihrer ethischen
und ästhetischen Schönheit und nimmt sich vor, die Tanten und
Moralprediger nun erst recht zu ärgern. Denn wenn er etwa
sagt:
Ich liebe Grogk von Rum, Hasard und Weiber
so mag das wohl Simplem an die moralischen Nieren gehen;
es gehört aber wirklich nicht viel psychologischer Scharfblick
dazu, um darin ein nur halb ernst gemeintes Outrieren zu er-
kennen, in das ihn der frühere Widerspruch gedrängt hat.
Sagt er doch ein andermal selbst:
Ich übertreibe, denn die Prüderie,
Der wir in Deutschland immer sehr gewogen,
Kann ich vertragen nimmermehr und nie.
Diese vorsätzliche Beschränktheit, das ist seine Form der
„Selbstzucht" — der Tugend, die bei ihm von so vielen ver-
mifst wird. Selbstzucht ist Selbstbestimmung durch Selbst-
beschränkung. Die Selbstzucht der alten Moral bestand in
der Beschränkung des Egoistischen zu Gunsten des Altruisti-
schen, des Trieblichen zu Gunsten der Intelligenz, des Müssens
zu Gunsten des Wollens; das Ideal der modernen Selbstzucht,
wie es vor allem dem Genius Nietzsches vorschwebte, ist
Zurückschneidung der ins Holz gehenden Triebe zu Gunsten
der fruchtbaren. Der Dichter empfängt seine Offenbarungen
unmittelbar aus den unkontrolierten Gährgründen semer
Natur; ihm mufs daher das Instinktmäfsige über den In-
tellekt gehen. Liliencron hat seinen Instinkt geschützt. Seine
berühmte Naivität und seine Abneigung gegen ein „geregeltes
Leben" ist nicht eine vag wuchernde Unerzogenheit, sondern
ein Gut, das er sich mit bewufstem Willen und Mannes-
eigensinn im Kampf mit der Welt aus seiner Kindheit ge-
rettet hat, weil er einsah, dafs Kompromisse ihn feig und
schwach machen müfsten. Er mufste sich ausleben in den
Augenblickszufällen des reichen Lebens, um reicher zu werden
für seinen Beruf. Die Bewufstheit in seiner ganzen anormalen
Auffassung der Lebensverhältnisse giebt seiner „Lascivität"
einen heroischen Beischmack. Es ist bemerkenswert, dafs er
bei der Neuordnung seiner Gedichte die historischen Balladen
in den Band „Kampfund Spiele", die Liebesintermezzi da-
gegen gröfstenteils in den Band „Kämpfe und Ziele" gestellt
hat. Wenn aber unsere jüngsten lyrischen Geisterchen in
seiner Manier allerlei kleine Liebesgeschichten auskramen, so
ist das ja an sich ganz nett, aber sie sollen nicht glauben,
dafs sie damit schon ein Blatt seines Lorbeerkranzes ver-
dienten ; mit Schuldenmachen und Herumliebeln ist man noch
lange kein Liliencron.
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Liebe
im sanften Mond,
im Sehnsuchtpuls der Nachtigallenlieder,
und als das zarte Geschöpfchen gestorben ist, die Leiche
durch den Geliebten mitten aus der höhnischen Leichen-
hochzeitfeier herausgerissen, in wahnsinniger Flucht bis oben
auf den Turm geschleppt, und dann alle Beide hinunter in
den Abgrund — das will ich glauben, das gefällt ihm!
Indessen ich meinte es tiefer, das mit der „Romantik."
Nicht nur in seinem künstlerischen Geschmacke und in seinen
Ideen: auch im Leben, in seinem innern Wesen ist Liliencron
Romantiker. Er steht allen praktischen Aufgaben hülflos
gegenüber. Das moderne Leben mit seinen unzähligen Fragen
an den Einzelnen und an die Gemeinschaft kennt er nicht.
Nur in einem einzigen seiner Gedichte (Auf dem Bahnhof)
kann man etwas von dem Schweifsathem unserer industriösen
Zeit wittern. Die Demokratie ist ihm ein Nichts, er lebt
in einem altmodischen Feudalismus. Er kann nicht rechnen
und giebt der Stimme des Herzens prinzipiell den Vorzug vor
der des Geldbeutels, ja träumt sich hinein in ein verschwen-
derisches Mäcenatentum und unerhörtes Mit-Geld-umsich-
werfen. „Weltklug, das Eiseswort, kanntest du nimmer,"
mufs er sich selbst sagen. Pafst solch ein Mensch in unsere
Zeit? Höchstens wohl insofern, als er eine gegensätzliche
Ergänzung zu ihr bildet.
Der moderne Mensch hat das Bedürfnis, sich als ein
Problem zu fühlen. Ist Liliencron ein Problem? er ist ein
famoser Kerl, fertig! Wir sind alle ein bischen angekränkelt;
hier ist die Gesundheit in Person. Wir schwanken alle
zwischen christlicher und heidnischer Moral, zwischen Zweck
und Grund, zwischen Wollen und Können hin und her;
hier ist einer, der unerschütterlich fest und „jenseits" steht.
Wir zweifeln die ganze Welt an und uns selber dazu; hier
ist die harmonische Antwort und Selbstbejahung.
Woran liegt es, dafs eine so bunte Erscheinung wie
Liliencron so harmonisch wirkt? Hat sie doch der Gegensätze
und Widersprüche so viele in sich! Ich habe schon auf seine
künstlerischen Inkonsequenzen aufmerksam gemacht: Er
nennt den unreinen Reim ein Zeichen der Trägheit und ist
selbst nicht sorgfältig; er spöttelt über die Ottave und kann sie
doch nicht entbehren; er ärgert sich über das Dichter-„e" und
braucht es gelegentlich selbst. Und als Mensch! Grand-
seigneur und Hungerleider, Naturpoet und Phantast, altmo-
disch und lebenslustig, romantisch und alltäglich, ein Patriot
der fortwährend über die Deutschen schimpft, ein Poet der
sich selbst zum Besten hat.. . alles unvermittelt nebeneinan-
der. Er hat ein rührendes Mitgefühl mit Verwundeten und
Sterbenden in der Schlacht und schämt sich nicht derThränen;
und er braucht nur einen Helmblitz zu sehen im Feld, da
packt ihn die Sehnsucht nach dem Krieg. Er fühlt gradezu
christlich, wie schwer das Loos des gemeinen Mannes ist,
das Loos der Proletarierkinder; und ganz lustig fesselt er
ein Mädel nach dem andern und reifst sich dann von ihr
los — ist so etwas logisch? Wie bringt er das fertig? Wie
kann Einer bei solchen Inkonsequenzen so fest auf den Beinen
stehen? Da steckt das Problem.
Er bringt es fertig kraft einer Kraft. Und diese Kraft ist
die Selbstbeschränkung. Was im Leben seinen leicht erreg-
baren Geist beirren könnte, davor macht er einfach Kehrt;
aber nicht aus Feigheit, sondern aus Notwehr, aus Trotz.
Darin liegt der Wert seiner Lebensromantik. Sie giebt ihm
die Fähigkeit, das offenste Herz abzuschliefsen gegen alles,
was im Stande wäre dieses Herz anzufressen. In diesem
Punkte ist kein Geringerer sein Bruder als Goethe. Darum
spielt das Motiv des verhungernden Dichterlings eine so grofse
Rolle bei ihm, weil er dieser Pose und Posse bedarf, um
nicht zu verzagen. Kann er nicht rechnen — gut: so ist das
Rechnen überhaupt etwas Untergeordnetes. Kann er ein
bürgerliches Normalleben nicht führen — wohl! so sind
alle gemeinnützigen Aemter vom Minister bis zum Laternen-
anzünder Philisterkram und werden ganz einfach mit Skat
und Schützenfesten, mit Generalversammlungen und Familien-
journalen in Eine Kategorie geworfen. Und wird ihm die
„freie Liebec', verdacht, so macht er vor der sozialen Seite
der Frage fest die Augen zu, entzückt sich an ihrer ethischen
und ästhetischen Schönheit und nimmt sich vor, die Tanten und
Moralprediger nun erst recht zu ärgern. Denn wenn er etwa
sagt:
Ich liebe Grogk von Rum, Hasard und Weiber
so mag das wohl Simplem an die moralischen Nieren gehen;
es gehört aber wirklich nicht viel psychologischer Scharfblick
dazu, um darin ein nur halb ernst gemeintes Outrieren zu er-
kennen, in das ihn der frühere Widerspruch gedrängt hat.
Sagt er doch ein andermal selbst:
Ich übertreibe, denn die Prüderie,
Der wir in Deutschland immer sehr gewogen,
Kann ich vertragen nimmermehr und nie.
Diese vorsätzliche Beschränktheit, das ist seine Form der
„Selbstzucht" — der Tugend, die bei ihm von so vielen ver-
mifst wird. Selbstzucht ist Selbstbestimmung durch Selbst-
beschränkung. Die Selbstzucht der alten Moral bestand in
der Beschränkung des Egoistischen zu Gunsten des Altruisti-
schen, des Trieblichen zu Gunsten der Intelligenz, des Müssens
zu Gunsten des Wollens; das Ideal der modernen Selbstzucht,
wie es vor allem dem Genius Nietzsches vorschwebte, ist
Zurückschneidung der ins Holz gehenden Triebe zu Gunsten
der fruchtbaren. Der Dichter empfängt seine Offenbarungen
unmittelbar aus den unkontrolierten Gährgründen semer
Natur; ihm mufs daher das Instinktmäfsige über den In-
tellekt gehen. Liliencron hat seinen Instinkt geschützt. Seine
berühmte Naivität und seine Abneigung gegen ein „geregeltes
Leben" ist nicht eine vag wuchernde Unerzogenheit, sondern
ein Gut, das er sich mit bewufstem Willen und Mannes-
eigensinn im Kampf mit der Welt aus seiner Kindheit ge-
rettet hat, weil er einsah, dafs Kompromisse ihn feig und
schwach machen müfsten. Er mufste sich ausleben in den
Augenblickszufällen des reichen Lebens, um reicher zu werden
für seinen Beruf. Die Bewufstheit in seiner ganzen anormalen
Auffassung der Lebensverhältnisse giebt seiner „Lascivität"
einen heroischen Beischmack. Es ist bemerkenswert, dafs er
bei der Neuordnung seiner Gedichte die historischen Balladen
in den Band „Kampfund Spiele", die Liebesintermezzi da-
gegen gröfstenteils in den Band „Kämpfe und Ziele" gestellt
hat. Wenn aber unsere jüngsten lyrischen Geisterchen in
seiner Manier allerlei kleine Liebesgeschichten auskramen, so
ist das ja an sich ganz nett, aber sie sollen nicht glauben,
dafs sie damit schon ein Blatt seines Lorbeerkranzes ver-
dienten ; mit Schuldenmachen und Herumliebeln ist man noch
lange kein Liliencron.
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