nicht der letzte Grund seiner Abneigung gegen den ver-
wurschtelten Kulturmischmasch seiner Zeit. Die Adelsnatur
war das Formbildende in ihm; das grofsmiitterlicheBauern-
blut hat ihm das Gefühl für den Wert des Anspruchslosen
geschenkt, und zwei Tröpfchen amerikanischen und spa-
nischen Blutes haben nur noch ein gewisses Bouquet hinzu-
gebracht. Hier ist der Natur einmal eine besonders glückliche
Kombination gelungen. "Woran hunderte von Talenten
heiumexperimentieren: einen Stil zu schaffen — Liliencron
ward es zu teil wie ganz von selber. Der monumentale Stil
des Liliencronschen Humors.
Humor ist eine Aeufserung der Kraft, im Grunde also
etwas Mystisches, wie Alles was Leben atmet. Die Kraft,
über den Widerspruch wegzukommen, ist die Tugend, die
Liliencron den Kindern unserer Zeit so wertvoll macht. Mö-
gen wir uns moralisch stellen auf welchen Standpunkt wir
wollen, die Hauptsache ist erst einmal, dafs wir durch-
kommen. Wir sind alle Problemriecher, ich sagte es schon,
und Nietzsche ist die erschütternd tragische Personifizierung
dieser Eigenschaft. Auch in Liliencrons Gehirn tauchen die
Probleme empor; aber sein Verstand hat nicht den Ehrgeiz
sie zu lösen. Er leidet nicht unter den Zweifeln und Fra-
gen des Lebens. Die Kraft seines Selbstvertrauens half ihm
hindurch; er ist über die Logik hinausgewachsen, er hat den
Mut ungerecht zu sein, er ist oberflächlich in seinen Ge-
danken, weil ihm das konkrete Leben verständlicher und —
tiefer ist als alle Abstraktionen und Theorieen, und darin kann
er uns wohl ein Vorbild und eine Quelle der Kraft sein. Der
leidenswillige kritische Idealismus eines Nietzsche wird unserer
schwärmenden Bewunderung sicher, und ewig eine Kardinal-
eigenschaft unsres Volkes bleiben; der Deutsche ist „ein
Grübler selbst an Gottes Brust". Aber um nicht daran zu
Grunde zu gehen, brauchen wir gelegentlich befreiende
Reaktionen. Wie ich einmal einem Freunde vorn in seinen
Weihnachts-Poggfred schrieb:
Wir wollen keine ewigen Rätsel lösen,
kein Menschendogma war noch ohne Fehle,
wir fliehn auch „jenseits" nicht vom Gut-und-Bösen,
was soll das philosophische Gequäle!
wir sind nicht da zum Denken und zum Dösen:
Nein, in den Widerspruch mit ganzer Seele
mitten hineingesprungen! das heifst leben.
Die Lehre hat mir Liliencron gegeben.
Gustav Kuehl
ADOLF HILDEBRAND, SITZENDER MARSYAS GIPSMODELL FÜR BRONZE
C 103 3
wurschtelten Kulturmischmasch seiner Zeit. Die Adelsnatur
war das Formbildende in ihm; das grofsmiitterlicheBauern-
blut hat ihm das Gefühl für den Wert des Anspruchslosen
geschenkt, und zwei Tröpfchen amerikanischen und spa-
nischen Blutes haben nur noch ein gewisses Bouquet hinzu-
gebracht. Hier ist der Natur einmal eine besonders glückliche
Kombination gelungen. "Woran hunderte von Talenten
heiumexperimentieren: einen Stil zu schaffen — Liliencron
ward es zu teil wie ganz von selber. Der monumentale Stil
des Liliencronschen Humors.
Humor ist eine Aeufserung der Kraft, im Grunde also
etwas Mystisches, wie Alles was Leben atmet. Die Kraft,
über den Widerspruch wegzukommen, ist die Tugend, die
Liliencron den Kindern unserer Zeit so wertvoll macht. Mö-
gen wir uns moralisch stellen auf welchen Standpunkt wir
wollen, die Hauptsache ist erst einmal, dafs wir durch-
kommen. Wir sind alle Problemriecher, ich sagte es schon,
und Nietzsche ist die erschütternd tragische Personifizierung
dieser Eigenschaft. Auch in Liliencrons Gehirn tauchen die
Probleme empor; aber sein Verstand hat nicht den Ehrgeiz
sie zu lösen. Er leidet nicht unter den Zweifeln und Fra-
gen des Lebens. Die Kraft seines Selbstvertrauens half ihm
hindurch; er ist über die Logik hinausgewachsen, er hat den
Mut ungerecht zu sein, er ist oberflächlich in seinen Ge-
danken, weil ihm das konkrete Leben verständlicher und —
tiefer ist als alle Abstraktionen und Theorieen, und darin kann
er uns wohl ein Vorbild und eine Quelle der Kraft sein. Der
leidenswillige kritische Idealismus eines Nietzsche wird unserer
schwärmenden Bewunderung sicher, und ewig eine Kardinal-
eigenschaft unsres Volkes bleiben; der Deutsche ist „ein
Grübler selbst an Gottes Brust". Aber um nicht daran zu
Grunde zu gehen, brauchen wir gelegentlich befreiende
Reaktionen. Wie ich einmal einem Freunde vorn in seinen
Weihnachts-Poggfred schrieb:
Wir wollen keine ewigen Rätsel lösen,
kein Menschendogma war noch ohne Fehle,
wir fliehn auch „jenseits" nicht vom Gut-und-Bösen,
was soll das philosophische Gequäle!
wir sind nicht da zum Denken und zum Dösen:
Nein, in den Widerspruch mit ganzer Seele
mitten hineingesprungen! das heifst leben.
Die Lehre hat mir Liliencron gegeben.
Gustav Kuehl
ADOLF HILDEBRAND, SITZENDER MARSYAS GIPSMODELL FÜR BRONZE
C 103 3