EUGENE CARRIEKE, KENTREE DU TRAVA
EUGENE CARRIERE
OBGLEICH die Kunst Eugene Carrieres auf den ersten
Blick für Jeden etwas Ueberraschendes, ja beinahe Ver-
wirrendes hat, der unvorbereitet oder ohne sonst etwa vorein-
genommen zu sein, seinen Werken gegenübertritt, so wird doch
nicht bestritten werden können, dafs er zu denjenigen Künstlern
gehört, die man ihrer Meisterschaft willen als Künstler ersten
Ranges bezeichnet, mit anderen Worten, dafs er bereits
klassisch ist, oder es doch werden wird, und solche Künstler
pflegen eigentlich eben um ihrer Meisterschaft willen weniger
befremdlich zu wirken.
Indessen, darin liegt doch nur ein scheinbarer Wider-
spruch. Er verschwindet bald, wenn man der besonderen
Eigenart dieses Künstlers nachzuspüren versucht und sich
zu allererst einmal rückhaltlos dem starken Eindruck über-
läfst, den seine Werke ausüben. Denn nur so wird man zu
der Erkenntnis gelangen können, dafs das Geheimnis seiner
Anziehungskraft wesentlich in dem liegt, was er anstrebt: in
der Erreichung absoluter Harmonie zwischen malerischem
Ausdruck und seelischem Gehalt.
Wenn es sich darum handelt, eine derartig scharf aus-
geprägte und durch unbestreitbare Originalität imponierende
Persönlichkeit zu charakterisieren, vermögen uns Vergleiche
mit anderen stets wenig zu helfen. Gröfse und Kraft eines
so bedeutenden Lebenswerks müssen vielmehr für sich selber
sprechen — und sie legen hier in der That das deutlichste
Zeugnis für ihren Schöpfer ab.
Ich will daher nur den Versuch machen, lediglich durch
Hervorhebung der Eigenheiten, die seine Kunst charakteri-
sieren, nachzuweisen, worin jene absolute Harmonie zu finden
ist und was uns sozusagen die Stimmgabel für sie abgiebt.
— Das Werk Carriere's und die verschiedenen Phasen seiner
Entwicklung im Allgemeinen ins Auge gefafst, hält es nicht
schwer, das Problem seiner Kunst zu umreifsen: es liegt in seinem
unverrückbaren immer nachdrücklicher gewordenen Streben
nach möglichster Intensität des psychologischen Aus-
drucks, und er scheint dieses Ziel zu erreichen durch starke
Betonung synthetisierender Züge und Momente. Die Erwei-
terung und Vereinfachung in den Ausdrucksmitteln, die
seine neueren Werke aufweisen, bestätigt noch deutlicher dieses
Ringen nach dem letzten Ausdruck für das kaum noch Fafs-
bare in einem Gedanken oder in einer seelischen Regung.
Die so glücklichen Aeufserungen einer ähnlichen Em-
pfindungsweise in der neueren Litteratur mufsten auch ihren
malerischen Ausdruck finden und Carriere giebt uns die
ganze Skala von den zartesten bis zu den leidenschaftlichsten
Tönen. Seine Psychologie vermag auch dem geheimsten
Empfinden nachzuspüren und verhilft so — immer in engster
Verbindung mit Natur und Leben — selbst eben erst auf
keimenden Regungen und flüchtigsten Gefühlen zu einem
natürlichen Ausdruck. Das eigenartig Anziehende, das uns
aus Carrieres Werken anweht, liegt eben darin, dafs wir,
mag er von Familie, von Volksleben oder von Tragödien der
Geschichte erzählen, jederzeit eine starke innere Bewegung
verspüren: denn es ist immer ein ganz intensiv gegebener Vor-
gang der menschlichen Seele, den uns der Denker, der Poet
im Gewände eines Malers enthüllt.
Wenn man zugiebt, dafs die Bedeutung eines Kunst-
werks, die Höhe, zu der es sich erhebt, von der Inten-
C 119 D
EUGENE CARRIERE
OBGLEICH die Kunst Eugene Carrieres auf den ersten
Blick für Jeden etwas Ueberraschendes, ja beinahe Ver-
wirrendes hat, der unvorbereitet oder ohne sonst etwa vorein-
genommen zu sein, seinen Werken gegenübertritt, so wird doch
nicht bestritten werden können, dafs er zu denjenigen Künstlern
gehört, die man ihrer Meisterschaft willen als Künstler ersten
Ranges bezeichnet, mit anderen Worten, dafs er bereits
klassisch ist, oder es doch werden wird, und solche Künstler
pflegen eigentlich eben um ihrer Meisterschaft willen weniger
befremdlich zu wirken.
Indessen, darin liegt doch nur ein scheinbarer Wider-
spruch. Er verschwindet bald, wenn man der besonderen
Eigenart dieses Künstlers nachzuspüren versucht und sich
zu allererst einmal rückhaltlos dem starken Eindruck über-
läfst, den seine Werke ausüben. Denn nur so wird man zu
der Erkenntnis gelangen können, dafs das Geheimnis seiner
Anziehungskraft wesentlich in dem liegt, was er anstrebt: in
der Erreichung absoluter Harmonie zwischen malerischem
Ausdruck und seelischem Gehalt.
Wenn es sich darum handelt, eine derartig scharf aus-
geprägte und durch unbestreitbare Originalität imponierende
Persönlichkeit zu charakterisieren, vermögen uns Vergleiche
mit anderen stets wenig zu helfen. Gröfse und Kraft eines
so bedeutenden Lebenswerks müssen vielmehr für sich selber
sprechen — und sie legen hier in der That das deutlichste
Zeugnis für ihren Schöpfer ab.
Ich will daher nur den Versuch machen, lediglich durch
Hervorhebung der Eigenheiten, die seine Kunst charakteri-
sieren, nachzuweisen, worin jene absolute Harmonie zu finden
ist und was uns sozusagen die Stimmgabel für sie abgiebt.
— Das Werk Carriere's und die verschiedenen Phasen seiner
Entwicklung im Allgemeinen ins Auge gefafst, hält es nicht
schwer, das Problem seiner Kunst zu umreifsen: es liegt in seinem
unverrückbaren immer nachdrücklicher gewordenen Streben
nach möglichster Intensität des psychologischen Aus-
drucks, und er scheint dieses Ziel zu erreichen durch starke
Betonung synthetisierender Züge und Momente. Die Erwei-
terung und Vereinfachung in den Ausdrucksmitteln, die
seine neueren Werke aufweisen, bestätigt noch deutlicher dieses
Ringen nach dem letzten Ausdruck für das kaum noch Fafs-
bare in einem Gedanken oder in einer seelischen Regung.
Die so glücklichen Aeufserungen einer ähnlichen Em-
pfindungsweise in der neueren Litteratur mufsten auch ihren
malerischen Ausdruck finden und Carriere giebt uns die
ganze Skala von den zartesten bis zu den leidenschaftlichsten
Tönen. Seine Psychologie vermag auch dem geheimsten
Empfinden nachzuspüren und verhilft so — immer in engster
Verbindung mit Natur und Leben — selbst eben erst auf
keimenden Regungen und flüchtigsten Gefühlen zu einem
natürlichen Ausdruck. Das eigenartig Anziehende, das uns
aus Carrieres Werken anweht, liegt eben darin, dafs wir,
mag er von Familie, von Volksleben oder von Tragödien der
Geschichte erzählen, jederzeit eine starke innere Bewegung
verspüren: denn es ist immer ein ganz intensiv gegebener Vor-
gang der menschlichen Seele, den uns der Denker, der Poet
im Gewände eines Malers enthüllt.
Wenn man zugiebt, dafs die Bedeutung eines Kunst-
werks, die Höhe, zu der es sich erhebt, von der Inten-
C 119 D