EUGENE CARRIERE, DEKORATIVE LANDSCHAFT
SPANISCHE KUNST
IGNACIO ZULOAGA
ZU den besonderen Eigentümlichkeiten der spanischen
Kunst gehört in erster Linie, dafs sie auf direkt rea-
listischem Wege zum Idealismus gelangt und dafs dieser einen
um so höheren Flug gewinnt, je stärker er auf dem Realismus
aufbaut. Die grofsen Künstler Italiens haben das Ideal durch das
Ideal selbst erreicht, d. h. sie suggerieren uns ihre poetischen
Ideen, indem sie deren Vorwurf und deren Darstellung
idealisieren. Bei den spanischen Meistern aber, mit Aus-
nahme Murillo's (und nicht einmal in allen seinen Werken)
und bei den Griechen, deren Fall ganz besonders liegt, zeigt
sich eine entgegengesetzte Erscheinung: Vorwurf und Dar-
stellung werden genommen und gegeben als das, was sie sind,
die Idee jedoch kommt dabei nur um so reiner zum Ausdruck.
Man könnte allenfalls sagen, dafs der Idealismus der spanischen
Meister in der Wahl der von ihnen dargestellten Realitäten
beruhe.
Um uns klar auszudrücken, müssen wir den spanischen
Realismus von anderen Bestrebungen unterscheiden, die man
leicht damit verwechseln könnte. Der Realismus Rembrandt's
z. B. hat so gut wie nichts davon: es giebt keinen Künstler,
der mehr interpretiert d. h. also mehr idealisiert hätte als er.
Aber seine Darstellung weicht im Ausdruck und in ihrem
ganzen Wesen so sehr von der der italienischen Künstler
ab, dafs die akademische Auffassung den einen für einen
Realisten, die andern aber für Idealisten erklärt; ein Irrtum,
aus dem die akademische Lehre selbst erst erstand. Ganz ebenso
wäre Dürer im Verhältnis zu den Spaniern allem Schein zum
Trotz durchaus Idealist: sein Fleifs und die aufserordentliche
Sorgfalt, die er dem Detail widmet, weisen deutlich genug
darauf hin.
Was die spanische Kunst in ihren Blütezeiten grofs ge-
macht, das ist eben dieser reale Idealismus. Während des
gröfseren Teils unseres Jahrhunderts aber hat Spanien die
eigentliche Richtung seines künstlerischen Temperaments
völlig verkannt. Es hatte das Unglück eine Akademie zu
besitzen; es hing mit einem Eifer, der dem der schlimmsten
Italiener würdig war, am „Netten" und „Niedlichen", es
gefiel sich in den aufserord entlich geschickten, aber auch
aufserordentlich unbedeutenden Spielereien Fortuny's und
seiner Nachahmer, und begeisterte sich für die grofsen „histo-
rischen Gemälde", die einen Abklatsch bildeten von dem, was
französische Kunst in diesem ebenso anmafsungsvollen als
C 122 ])
SPANISCHE KUNST
IGNACIO ZULOAGA
ZU den besonderen Eigentümlichkeiten der spanischen
Kunst gehört in erster Linie, dafs sie auf direkt rea-
listischem Wege zum Idealismus gelangt und dafs dieser einen
um so höheren Flug gewinnt, je stärker er auf dem Realismus
aufbaut. Die grofsen Künstler Italiens haben das Ideal durch das
Ideal selbst erreicht, d. h. sie suggerieren uns ihre poetischen
Ideen, indem sie deren Vorwurf und deren Darstellung
idealisieren. Bei den spanischen Meistern aber, mit Aus-
nahme Murillo's (und nicht einmal in allen seinen Werken)
und bei den Griechen, deren Fall ganz besonders liegt, zeigt
sich eine entgegengesetzte Erscheinung: Vorwurf und Dar-
stellung werden genommen und gegeben als das, was sie sind,
die Idee jedoch kommt dabei nur um so reiner zum Ausdruck.
Man könnte allenfalls sagen, dafs der Idealismus der spanischen
Meister in der Wahl der von ihnen dargestellten Realitäten
beruhe.
Um uns klar auszudrücken, müssen wir den spanischen
Realismus von anderen Bestrebungen unterscheiden, die man
leicht damit verwechseln könnte. Der Realismus Rembrandt's
z. B. hat so gut wie nichts davon: es giebt keinen Künstler,
der mehr interpretiert d. h. also mehr idealisiert hätte als er.
Aber seine Darstellung weicht im Ausdruck und in ihrem
ganzen Wesen so sehr von der der italienischen Künstler
ab, dafs die akademische Auffassung den einen für einen
Realisten, die andern aber für Idealisten erklärt; ein Irrtum,
aus dem die akademische Lehre selbst erst erstand. Ganz ebenso
wäre Dürer im Verhältnis zu den Spaniern allem Schein zum
Trotz durchaus Idealist: sein Fleifs und die aufserordentliche
Sorgfalt, die er dem Detail widmet, weisen deutlich genug
darauf hin.
Was die spanische Kunst in ihren Blütezeiten grofs ge-
macht, das ist eben dieser reale Idealismus. Während des
gröfseren Teils unseres Jahrhunderts aber hat Spanien die
eigentliche Richtung seines künstlerischen Temperaments
völlig verkannt. Es hatte das Unglück eine Akademie zu
besitzen; es hing mit einem Eifer, der dem der schlimmsten
Italiener würdig war, am „Netten" und „Niedlichen", es
gefiel sich in den aufserord entlich geschickten, aber auch
aufserordentlich unbedeutenden Spielereien Fortuny's und
seiner Nachahmer, und begeisterte sich für die grofsen „histo-
rischen Gemälde", die einen Abklatsch bildeten von dem, was
französische Kunst in diesem ebenso anmafsungsvollen als
C 122 ])