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Signum Triciput

Mannes von etwa 40 Jahren, dem nach rechts gewandten Profil eines
Jünglings und dem nach links blickenden Profil eines Greises, das, wie
uns scheint, eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit Tizians späten Selbst-
bildnissen auf weist. Darunter erscheinen, in genau entsprechender An-
ordnung, und offensichtlich mit den drei menschlichen Köpfen zu einer
inneren Einheit verbunden, drei ebenso groß gebildete Tierhäupter:
dem Jünglingsprofil entspricht ein Hundskopf, dem Enfacebild des
reifen Mannes der Kopf eines Löwen, dem Greisenprofil der Kopf
eines Wolfes. Hadeln hat dieses Gemälde für eine Darstellung der drei
Lebensalter erklärt, und •— nicht ohne Erstaunen darüber, daß der-
selbe Tizian, der in dem frühen Bild der Bridgewater-Galerie dies
Thema zum Gegenstand einer blühend-lebendigen Idylle gemacht
hatte, es als Gealterter in eine so kultbildhaft-strenge und hiero-
glyphisch abgekürzte Form hineingepreßt habe — die Tierköpfe als
eine „bloße symbolische Erweiterung dieses Gedankens" in Anspruch
genommen: ,,They are meant to allude to the subtlety of old age, the
vigour of manhood, and probably the frivolity of youth“. Allein eine
solche Deutung ist nirgends belegbar1), und außerdem erhellt aus der
Inschrift, daß die Absicht des Künstlers sich nicht so sehr auf eine
Darstellung der drei menschlichen Lebensalter richtete, als viel-
mehr auf eine Symbolisierung der drei Zeitformen Gegenwart,
Vergangenheit und Zukunft. Der Text (dessen Worte so angeordnet
sind, daß sie im einzelnen den drei menschlichen Köpfen als Beischrift
dienen, zugleich aber im ganzen einen zusammenhängenden Satz er-
geben) lautet: ,,Ex praeterito praesens prudenter agit, ni futura actione
deturpet"; und dieser Satz weist nicht nur den Weg zur ikonographischen
Deutung des Bildes, sondern gibt auch den ersten Schlüssel für seine
historische Erklärung.

Es ist nämlich kein Zufall, daß Tizian sich nicht mit einer bloßen
Nennung der drei Zeitformen begnügt, sondern sie unter dem mora-
lischen Aspekt der ,,Prudentia“ betrachtet und sie diesem Aspekte ge-
wissermaßen unterordnet. Die Gegenwart, von der Vergangenheit lernend,
soll klüglich handeln, um nicht durch ihre Handlung die Zukunft zu
gefährden. Dieser Gesichtspunkt entspricht einer alt eingewurzelten und
überaus weit verbreiteten Vorstellung der scholastischen Moral-

1) Natürlich gibt es zahlreiche literarische und künstlerische Beispiele für eine
Parallelisierung der Lebensalter mit bestimmten Tieren (ein Beispiel wird von Hadeln
selbst angeführt, andere bei F. Boll, Die Lebensalter, 1913, S. 9/10 und 22 Anm., sowie bei
Molsdorf, a. a. O. Nr. 1143); aber in keinem dieser Fälle besteht eine Ähnlichkeit mit der
Zusammenstellung des Tizianischen Bildes: der Hund z. B. gehört durchweg zum Greisen-
alter, nicht zur Jugend. Auch in den etwas satirischen Reliefs der Annaberger Kirche
(16. Jahrhundert) entspricht der Hund dem Siebenzigjährigen.
 
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