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»HERCULES PRODICIUS«

DIE WIEDERGEBURT EINER GRIECHISCHEN MORALERZÄH-
LUNG IM DEUTSCHEN UND ITALIENISCHEN HUMANISMUS

Das kleine Jugendwerk Raffaels (Abb. 28), das dieser zweiten Stu-
die ihr Thema gestellt und in gewisser Hinsicht ihre Richtung gewiesen
hat, pflegt in der kunstgeschichtlichen Literatur noch immer als „Der
Traum desRitters“ bezeichnet zu werden. Die Zurückhaltung, die sich
in dieser unverbindlichen Benennung ausspricht, ist wohl zu begreifen.
Es ist zwar ohne weiteres einleuchtend, daß die eine der beiden Frauen,
die sich um die Gunst des schlafenden Jünglings bewerben, mit ihrem an-
mutig dargebotenen Blümchen zu einem wenn auch nicht geradezu
„lasterhaften“, so doch idyllisch-genießerischen Lebenswandel auffordert,
während die andere, gestrengere, durch Buch und Schwert auf ein ent-
sagungsvolleres und kämpfereicheres Dasein hinweista); und es lag daher
überaus nahe, den Gedanken des Bildes mit jener Prodikeischen Er-
zählung1 2) von der „Wahl des Hercules“ in Verbindung zu bringen,
die uns noch heute als das Paradigma einer ethischen Entscheidung

1) Passavant, Raphael von Urbino, 1839, I S. 69; II S. 25.

2) In der kunstgeschichtlichen Literatur wird sie mit Hartnäckigkeit als ,,Epikte-
tisch" bezeichnet (P. Schubring, Cassoni, Nr. 419 und 135; K. Escher, Malerei der Renais-
sance in Mittel- und Unteritalien, Handb. d. Kunstw., 1922, S. 253), obgleich gerade Epik-
tet zu denjenigen antiken Autoren (man könnte fast sagen: zu den wenigen antiken Auto-
ren) gehört, bei denen sich nicht einmal eine Anspielung auf die Prodikosfabel findet.
 
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