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Panofsky, Erwin <Prof. Dr.>
Hercules am Scheidewege und andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst — Leipzig, Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.29796#0191
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„Virtus“ als humanistisches Prinzip. ,,La domitrice della Fortuna" 165

losen Verteilung der irdischen Güter beauftragte „Glück“ nur in der
Weise vorstellen konnte, daß der fromme Mensch von vornherein auf
diese Güter verzichtet (daher die Umbildung des antiken Zweikampfs
zwischen „Fortuna“ und „Virtus“ zu einem Zweikampf zwischen „For-
tuna“ und „Paupertas“)1), ist die Renaissance zu der Überzeugung
gelangt, daß der Tugendhafte der Glücksgöttin ihre Gaben unmittelbar
abzwingen kann,—„velis nolisve“, wie es auf einer Medaille heißt.2)
Und wenn man früher in der Verbindung der „Virtus“ mit der „Gloria“
nur einen schlagenden Beweis für die Illegitimität der heidnischen
Tugend erblickt hatte3), so wird jetzt umgekehrt aus eben dieser Ver-
bindung die Legitimität des heidnischen Ruhmes begründet: „Virtü“
und „Fama“ werden echtbürtige Schwestern4); die wahre Ruhmbegierde

1) Vgl. oben S. 57 und 84. Diese Restitution des alten Zweikampfs ’ApST/j contraTu)^/)
— belegbar schon in dem S. 84 erwähnten Widmungsschreiben des Saxeolus Pratensis
und in der S. 4 erwähnten Brüsseler Teppichfolge — macht es begreiflich, daß es in der
Renaissance zu jenem Duell zwischen „Fortuna“ und Hercules kommen konnte, der ja
die personifizierte Tugend ist. Damit ist selbstverständlich nicht geleugnet, daß in streng
kirchlich gesinnten Kreisen auch noch zu Anfang des 16. Jahrhunderts eine Verläste-
rung des Hercules möglich war, die unmittelbar an die auf S. 76 wiedergegebenen
Auslassungen der lateinischen Kirchenväter erinnert. So findet sich in dem im Jahre 1517
zu Bologna erschienenen, von Leander Albertus zusammengestellten Werk ,,De Viris
Illustribus Ordinis praedicatorum libri sex“, fol. 130 r eine von Johannes Garzo
abgefaßte Lobrede auf den Hl. Thomas von Aquino, die mit einem Referat der Pro-
dikosfabel nach Cicero beginnt, um folgendermaßen fortzufahren ,,Haec quamquam a
Xenophonte scribantur, haud tarnen intelligo, quam is virtutis viam consectari potuerit,
qui expers penitus sit veritatis . . . Laudabilior profecto et praestantior Thomae Aquinatis
sententia fuit, qui non ad illius virtutis viam, quam sibi Hercules duxit ingrediendam, sed
ad coniungendam cum vera Religione sapientiam omnes suas cogitationes retulit. Nulla
erat Herculi veritatis notio. Neque Hercules sese virtuti prorsus addixit. Multa ab ea
perpetrata sunt, quae, ne quid iniocunditatis haberet oratio, praetereunda duxi”.

2) Abb. bei Doren, Fig. 16.

3) Vgl. die oben S. 153 angeführte Äußerung des Rabanus.

4) Dieser Gedanke wird schon in der 24. Canzone des Petrarca gestaltet (vgl. auch
Boccaccio, Genealogia Deor. III, 11), der hier wie überall die Renaissanceanschauung in
einer eigentümlich zart-verschleierten, man möchte sagen: noch nicht dogmatisierten Ge-
stalt an den Tag treten läßt. Die „Gloria" ist die jüngere Schwester der ihr an Schönheit
noch überlegenen „Virtü“, die dem Petrarca von jener gezeigt wird, aber selbst nicht
redet; die Wollust ist die „avversaria“ des Ruhmes, wird aber nur erwähnt, und nicht
persönlich vorgeführt; der Dichter endlich befindet sich nicht in einer Entscheidungs-
situation, sondern wird von vornherein als Anhänger der „Gloria“ geschildert, nur daß
er sie in seiner Jugend nur von außen kannte, während sie ihm nunmehr zum ersten Male
ihr Antlitz enthüllt:

„Mostrandomi pur l’ombra o’l velo o’panni
Talor di se, ma'lviso nascondendo“.

Man sieht: die neue Anschauung ist da; aber die Darstellung hat sich noch nicht zu der
plastisch-dramatischen Bestimmtheit eines Renaissancegemäldes verdichtet, sondern ver-
harrt noch in demselben eigentümlichen Schwebezustand zwischen moderner Körper-
haftigkeit und mittelalterlicher Transparenz, moderner Perspektive und mittelalterlichem
Goldgrundstil, wie die Bilder des dem Dichter so werten „maestro Simone“.
 
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