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Panofsky, Erwin <Prof. Dr.>
Hercules am Scheidewege und andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst — Leipzig, Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.29796#0193
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Der ,,Hercules''-Stich Albrecht Dürers

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Daß dieser Stich so schwer interpretierbar ist, hat er mit fast allen
mythologischen und allegorischen Darstellungen Dürers gemeinsam.
Kupferstiche und Radierungen wie der „Traum des Doktors“, die,,Amy-
mone", die „Vier nackten Frauen“, der „Hexenritt“, die „Entführung
auf dem Einhorn“ und der „Verzweifelnde“, — Holzschnitte wie der
„Reiter mit dem Landsknecht“, das „Männerbad“ und „Ercules“ —
Zeichnungen wie die „Pupilla Augusta“ und die seltsamen Blätter L. 174,
L. 194, L. 195 harren noch heute der schlüssigen Deutung1); und Arbeiten
wie die Ehrenpforte Maximilians, der „Sol Justitiae“ und die „Nemesis“
(von der „Melancholie“ ganz zu geschweigen) sind mit so ungewöhnlichem
Symbolgehalt belastet, daß ihre Interpretation erst im Verlauf des letzten
Menschenalters durch glückliche Zufallsfunde gelungen ist.

Die Häufung solcher Fälle legt die Vermutung nahe, daß in der Ab-
seitigkeit der Gegenstandswahl eine Art von System liegt; und in der
Tat erweist sie sich als tief in Dürers Kunstanschauung begründet. Er ist
es ja gewesen, der lange vor den Italienern, und nicht obgleich sondern
gerade weil er die Kunstbegabung des schöpferischen Menschen als ein
Gnadengeschenk der göttlichen Allmacht begriff, den höchsten Ruhm
der künstlerischen Leistung in ihrer Originalität erblickte: er sprach
dem genialen Maler die Fähigkeit zu, „alle Tag viel neuer Gestalt der
Menschen und anderer Creaturen auszugießen und zu machen, das man
vor nit gesehen noch ein Ander gedacht hätt“2), und selbst in den
Platonischen Ideen sah er nicht die Gewähr für objektive Gültigkeit und
Schönheit eines Kunstwerks, sondern die Quelle des rätselhaften Ver-
mögens, „allweg etwas Neus durch die Werk auszugießen“.3) Wenn sich
dies Streben nach dem „Noch-nicht-Dagewesenen“ auf dem Gebiet der
religiösen Kunst nur in einer neuen geistigen Durchdringung der über-
lieferten Bildstoffe, in neuen kompositorischen Formulierungen und in
neuer Beseelung der festgewordenen Typen und Gesten auswirken konnte,
so mußte es auf dem Gebiet der mythologischen und allegorischen Profan-
kunst auch für die Auswahl und Erfindung der Themen als solcher
bestimmend werden. Mit unverhohlenem Spott hat Dürer die ikonogra-
phische Erfindungsarmut der Venezianer Maler ironisiert: „Item der Histo-
rien halber sich ich nix Besunders, das die Walchen machen, das sunders
lustig in euer Studieren wär“, schreibt er an Pirckheimer, „es ist ummer
das und das Ein. Ihr wißt selber mehr weder sie molen“4); und

1) Eine Interpretation des „Ercules“-Holzschnitts B. 127 wird im II. Exkurse
(S. i8iff.) versucht.

2) L.-F., 218, 16; 356, 14.

3) L. F. 295, 8; 297, 27. Vgl. dazu Panofsky, Idea, S. 70 und Jahrb. f. Kunstwiss.,
1926, S. 170.

4) L. F. 32, 24, Brief vom 18. 8. 1506.
 
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