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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0010
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6 Wilhelm Specht

Widerstände stoßen muß zunächst bei jenen Psychologen, die ent-
weder in der Pathologie des Seelenlebens nichts anderes sehen als
ein Anwendungsgebiet der Psychologie oder die behaupten, das nor-
male Seelenleben dürfe nicht von der Pathologie her erklärt werden,
womit in beiden Fällen die Leistungsfähigkeit der pathologischen
Methode in Zweifel gezogen ist — und zum anderen bei all jenen
Psychiatern, die es vorziehen, ihre Kranken mit Medikamenten oder
anderen auf den Körper wirkenden Mitteln zu behandeln statt durch
Einwirkung auf das Seelenleben selbst.

Schauen wir zunächst auf die Psychologie hin, so kann es sich in
diesem Zusammenhang nicht darum handeln, den Gründen nachzu-
spüren, weshalb es der Psychologie, trotzdem sie sich unter der
Führung Wündts zu einer selbständigen, mit exakten Methoden
arbeitenden Wissenschaft entwickelt hat, und trotzdem die literarische
Produktion auf ihrem Gebiete ins Unübersehbare wächst, nicht ge-
lingen will, Sätze aufzustellen, die lehrbar sind und sich allgemeiner
Anerkennung erfreuen. Und ebenso wenig kann es an dieser Stelle
unsere Aufgabe sein, in dem Streit Stellung zu nehmen, der gerade
heute wieder um die Methoden der Psychologie, speziell um die
experimentelle Methode geführt wird. Worauf es uns in diesem
Zusammenhang ankommt, worauf wir es allein abgesehen haben,
ist die Herausstellung der Vorzüge, welche die pathologische Me-
thode vor der experimentellen voraus hat. Fassen wir unsere Auf-
gabe so, so liegt darin die Anerkennung der Leistungsfähigkeit der
experimentellen Methode. Das darf nun freilich nicht so mißverstanden
werden, daß wir uns auf die Seite derjenigen Experimentalpsycho-
logen stellen, gegen die der Logos1 in diesen Tagen seine Angriffe
gerichtet hat. Auch wir halten dafür, daß alle jene Fragen, die die
Erkenntnis des Psychischen, sein Wesen und seine letzten Kon-
stituentien angehen, Fragen etwa, ob Fremdpsychisches nur durch Ein-
fühlung gegeben sein kann, ob dem Psychischen eine Ichbeziehung
eigen ist, ob es für diese Ichbeziehung Stufen gibt, ob jedes Urteil
auf einem Vorstellen fundiert, ob es Gedanken, Bewußtseinsgrade
gibt, ob zwischen Inhalt und Funktion unterschieden werden müsse
usw., Fragen sind, die durch keine Beobachtung und kein Experi-

1 Husserl, Philosophie als strenge Wissenschaft, Logos, Bd. I, Heft 3,
1910/11.
 
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